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»Und wenn wir einfach die Sonne verdunkeln?«: Radikal ins Klima eingreifen?

Der Klimaökonom Gernot Wagner diskutiert solares Geoengineering und seine möglichen Folgen.
Eine partielle Sonnenfinsternis zeichnet such ab hinter einem Baum in Berlin

Geoengineering stand in den vergangenen Monaten stark im Fokus der Öffentlichkeit: So will das Weiße Haus laut Medienberichten die Potenziale und Risiken der Technologie besser erforschen lassen. Mexiko dagegen ließ alle Experimente mit solarem Geoengineering stoppen, nachdem ein Start-up offenbar ohne vorherige Absprachen in Baja California mit Schwefeldioxid gefüllte Wetterballons in die Luft steigen ließ.

Tatsächlich kreisen die derzeitigen Debatten häufig um solares Geoengineering, das oft auch als »Solar Radiation Management« (SRM) bezeichnet wird und mehrere Maßnahmen umfasst. Eine davon lautet: Die Wetterballons oder andere technische Hilfsmittel wie spezielle Flugzeuge sollen Aerosole, also kleine Partikel, in die Stratosphäre bringen – in der Hoffnung, dass diese einen Teil des Sonnenlichts zurück ins All werfen und dadurch die Erderwärmung verringern.

Die Voraussetzungen, Risiken und Potenziale dieser Idee diskutiert der Klimaökonom Gernot Wagner in seinem neuen Buch »Und wenn wir einfach die Sonne verdunkeln?«. Trotz des komplexen Themas bleibt er dabei durchweg verständlich.

Ein radikales Konzept mit vielen Unsicherheiten

Wagner hält sich nicht lange mit den chemischen oder meteorologischen Grundlagen des solaren Geoengineerings auf. Nach einer kurzen Einleitung zur Geschichte und Definition kommt er schnell auf die Rolle der Technologie in der Klimapolitik zu sprechen.

Diese sei nämlich besonders, wie der Autor erklärt. Im Vergleich zu einer Kohlendioxidreduktion könnte ein voll entwickeltes solares Geoengineering schneller eine Wirkung entfalten. Die weltweite Durchschnittstemperatur würde innerhalb von Wochen oder Monaten sinken, während dies bei einer Senkung der Emissionen erst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten eintreten würde. Auch lägen die Kosten für die Verwendung stratosphärischer Aerosole Schätzungen zufolge jährlich im einstelligen Milliarden-Dollar-Bereich. Das macht die Methode Wagner zufolge billiger als eine Kohlendioxidreduktion oder eine nachträgliche Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre.

Trotz dieser Potenziale warnt der Autor vor einem vorschnellen, unüberlegten Einsatz des solaren Geoengineerings. Denn dieser ginge mit vielen Unsicherheiten und denkbaren Gefahren einher. So packt solares Geoengineering den eigentlichen Grund für den Klimawandel – den zu hohen Kohlendioxidausstoß – nicht bei der Wurzel und könnte im schlimmsten Fall als Ausrede benutzt werden, andere Klimaschutzmaßnahmen spät oder gar nicht erst umzusetzen. Darüber hinaus könnte der Eingriff in die Natur unerwünschte Folgen nach sich ziehen: etwa, dass die stratosphärischen Aerosole den Heilungsprozess des Ozonlochs verlangsamen. Und schließlich stellt sich die Frage, wer bei der bislang nicht per Gesetz oder Abkommen regulierten Technologie über ihren Einsatz bestimmen sollte.

Weil solares Geoengineering aber, wie oben erwähnt, »schnell und billig« ist und der Klimawandel voranschreitet, ist ein Einsatz der Technologie nach Wagners Einschätzung in Zukunft sehr wahrscheinlich. Die Frage sei nicht, ob solares Geoengineering angewandt wird, sondern wann. Wagner plädiert deshalb dafür, schnell mehr über das Thema zu forschen, um besser auf dieses Szenario vorbereitet zu sein. Andere, dringende Maßnahmen zum Klimaschutz sollten dabei aber nicht zu kurz kommen.

Einige seiner zentralen Aussagen wiederholt Wagner in dem 208 Seiten dünnen Buch. Nötig wäre das nicht gewesen. Denn dass er sich als Wissenschaftler eingehend mit dem Thema befasst hat und zu differenzierten, wohlüberlegten Ansichten gelangt ist, wird bei dieser zum Weiterdenken anregenden Lektüre ohnehin klar.

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