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»Verkehrungen ins Gegenteil«: Die Mär der Entnazifizierung

Dieser erhellende Essay beleuchtet die Bedeutung der Rhetorik in totalitären Regimen. In seinem Zentrum steht die russische Propaganda.
Vladimir Putin

Der Untertitel von »Verkehrungen ins Gegenteil« hätte auch lauten können: »Eine Analyse der russischen Kriegsrhetorik.« Denn größtenteils untersucht Sylvia Sasse in ihrem Essay, mit welchen Mitteln Wladimir Putin den Angriff auf die Ukraine rechtfertigt. Dreh- und Angelpunkt sind dabei, wie der Titel schon sagt, Verkehrungen ins Gegenteil – ein Überfall wird dargestellt als Rettungsaktion; ein faschistoides Regime schmückt sich mit der angeblichen »Entnazifizierung« seines Nachbarstaats.

Die Literaturwissenschaftlerin und Slawistin zeigt anhand vieler Beispiele aus der russischen Geschichte und Literatur, dass diese Art der Verdrehung kein neues Mittel ist. Vielmehr sei »die Umkehrung ein Kennzeichen totalitärer Systeme und autokratischer Praktiken«. Sasse bezieht sich immer wieder auf Denker und Denkerinnen, welche die Macht des Gegenteils schon vor ihr durchschauten: Hanna Ahrendt nannte es eine »Umwertung der Werte«, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno sprachen von einer »falschen Projektion«, und George Orwell erfand das Doppeldenk.

Gibt es eine Strategie, die dagegen hilft? Die Autorin rät dazu, den Blick vom Empfänger auf den Sender zu wenden: Denn »die Verkehrung ins Gegenteil ist im Grunde eine verräterische Selbstadressierung. Sie ist ein Eingeständnis, dass die eigene Macht nur mit den Überzeugungen der Anderen zu erreichen ist.«

Es macht Spaß, dieses kleine Buch zu lesen: Bisweilen wird einem von den ständigen Verkehrungen und Umdrehungen zwar fast schwindelig, doch mit ihren präzisen Zusammenfassungen gelingt es Sasse immer wieder, den Knoten im Kopf zu lösen.

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