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Warkus' Welt: Mut zum Kitsch

Ob Gartenzwerge, Liebesromane oder Gedichte: Was manche mögen, finden andere kitschig. Doch was zeichnet Kitsch eigentlich aus? Und warum stoßen wir uns so sehr an ihm? Eine Kolumne.
Ein Gartenzwerg mit Gießkanne und Hacke steht auf grünem Rasen.
Man liebt sie oder man hasst sie: Gartenzwerge in deutschen Gärten.
Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Haben Sie einen Garten, einen Balkon, eine Terrasse oder etwas Ähnliches? Wenn ja: Steht dort ein Gartenzwerg oder ein vergleichbares Dekorationsobjekt, wie zum Beispiel ein großer Terrakottafrosch, ein Engel oder ein Comic-Huhn aus glasfaserverstärktem Kunststoff? Ist Ihnen das manchmal ein wenig peinlich? Oder steht Ihr Zwerg eher aus Trotz dort, obwohl Sie wissen, dass er … ja was eigentlich ist?

Gartenzwerge und ähnliche Objekte gelten als Inbegriff von Kitsch. Ob man sie mag oder nicht, es scheint eine Art weit verbreitetes kulturelles Bewusstsein dafür zu geben, dass sie »nicht richtig« sind. Dieses Bewusstsein erstreckt sich nicht nur auf Gartendekoration, sondern auch auf viele andere Kulturprodukte: Denken Sie etwa an die Katzenbilder von Rosina Wachtmeister, die Musik von André Rieu oder Pur, an Musicals aller Art, an die Unmengen serienmäßig produzierter Liebesromane oder romantischer Weihnachtsfilme, an Gedichte von Julia Engelmann oder Max Richard Leßmann. Alles Kitsch. Aber was heißt das eigentlich?

Ein gängiger Begriff von Kitsch unterstellt, dass dieser stets mit Nachahmung zu tun hat, mit dem uninspirierten, würdelosen Abklatsch von etwas Gewesenem, eigentlich nicht mehr Zeitgemäßem. Beim Beispiel der Gartendekoration funktioniert das hervorragend: Gartenzwerge gehen letztlich auf Skulpturen aus dem 17. und 18. Jahrhundert zurück, die im Rahmen von teils sehr anspruchsvollen bildhauerischen Ausstattungsprogrammen für Barockgärten entstanden sind. Man kann solche Zwerge beispielsweise im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg betrachten. Über die Jahrhunderte hinweg sind sie jedoch zu Massenware verkommen. Dieser Prozess lässt sich an anderen Beispielen noch besser verdeutlichen: Michelangelos »Erschaffung Adams« an der Decke der Sixtinischen Kapelle ist große Kunst – dasselbe Motiv auf einer Fototapete im Gäste-WC hingegen Kitsch.

Um anhand eines solchen Begriffs etwas als unecht, imitiert und kitschig zu verurteilen, muss man natürlich auch eine Vorstellung davon haben, was authentische, wertvolle Kunst ist. Bekanntermaßen lässt sich darüber allerdings trefflich streiten – spätestens, seitdem die Moderne und die Popkultur den Kreis der als Kunstwerke kandidierenden Gegenstände so stark erweitert haben. Kitsch als nostalgisch abzuwerten, als Imitation von etwas, das nicht mehr zur Zeit passt, setzt zudem voraus, dass es eine Entwicklung der Kunst gibt, die parallel zu anderen geschichtlichen Prozessen verläuft und damit bestimmte Formen unweigerlich veralten lässt. Das ist allerdings eine umstrittene Vorstellung. Wenn heute jemand genauso (und genauso gut) malt wie niederländische Meister im 17. Jahrhundert: Warum sollte das auf einmal keine »richtige« Kunst mehr sein?

Für den österreichischen Schriftsteller und Theoretiker Hermann Broch (1886–1951) war Kitsch nicht weniger als »das radikal Böse«. Heutzutage gibt es hingegen Festivals und Ausstellungen für Kitsch, und gar nicht wenige Menschen leben ganz offen und mit großem Vergnügen einen kitschigen Lebensstil.

Der Begriff Kitsch ist deshalb so aufgeladen, weil in ihm letztlich in unserer Alltagsumgebung Anzeichen für grundsätzlich unterschiedliche Ansichten zum Stellenwert kultureller Produkte für das Leben und die menschliche Geschichte auftauchen. Dass es wichtig sei, sich im Interesse der eigenen Bildung (und damit Menschwerdung) mit möglichst geschmackvollen Dingen zu umgeben, weil man sonst riskieren könnte, einen schlechten Charakter zu entwickeln – diese klassische bildungsbürgerliche Vorstellung spricht heute kaum noch jemand offen aus. Aber im Hass auf den Kitsch lebt sie unterschwellig fort.

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