Metzler Lexikon Philosophie: Freiheit
In der Tradition der Philosophie erfährt der Begriff der F. unterschiedliche Deutungen, und dies bereits in der griechischen Antike: Für die Sophisten ist frei derjenige, der in seinem Handeln nicht durch ein willkürliches Gesetz, sondern durch die Natur bestimmt ist. Sokrates dagegen bestimmt F. rein vom Menschen her: Der Mensch muss zwischen den Möglichkeiten seines Handelns so wählen, dass er nach Maßgabe seiner Vernunft das Beste wählt. Der freie und gute Mensch ist derjenige, der sich nicht auf ein beliebiges Gut, sondern auf das Gute an sich richtet. So wird auch bei Platon der Mensch, der im Gebrauch seiner Vernunft an dem Guten an sich selbst teilnimmt, seinerseits selbstgenügsam und frei. Aristoteles dagegen fasst die F. als konkretes Wählenkönnen auf. Durch seine Fähigkeit zu vernünftiger Entscheidung unterscheidet sich der Mensch von anderen Lebewesen. – Im MA. erfährt der Begriff der F. eine theologische Deutung: Bei Thomas von Aquin wird der freie Wille überwiegend von seinem Ziel her, dem Guten bestimmt. Zur Verwirklichung des freien Tuns muss allerdings die Gnade helfend eingreifen. Die F. des Willens (Willensfreiheit) erstreckt sich aber nicht auf das höchste Ziel, denn das ist dem Menschen vorgegeben, sofern er auf Gott ausgerichtet ist. Frei ist der Mensch nur in der Wahl der Mittel zu diesem Ziel. Zu Beginn der Neuzeit stellt Descartes die F. hinsichtlich ihrer graduellen Entfaltung dar: Die F. wächst mit der Zunahme der geistigen Klarheit über die Willensziele. Ähnlich erörtert Spinoza, dass frei einzig das ist, was allein aus der Notwendigkeit seines Wesens heraus existiert und allein durch sich selbst zum Handeln bestimmt ist. Der Mensch wird frei nur in der Loslösung von der Bestimmung durch die Affekte. Gemeinsam ist diesen Konzeptionen, dass die F. als die dem Menschen wesenhaft zukommende Selbstbestimmung aufgefasst wird.
F. bedeutet in negativer Bestimmung das Freisein von äußeren Zwängen bzw. das freie, von äußeren Hindernissen ungehinderte Sich-bewegen-Können; in einer positiven Bestimmung impliziert es die Möglichkeit der Selbstbestimmung, der freien Entscheidung und Wahl. – Beide Aspekte der Bestimmung haben ihren Niederschlag in den unterschiedlichen Konzeptionen der Handlungsfreiheit und der Willensfreiheit gefunden. Die Theorie der politischen F. bleibt insofern mit dem philosophischen Begriff der F. verbunden, als sich die Behandlung des philosophischen Problems der Verantwortlichkeit mit den Fragen der politischen Freiheit berühren. Ein Individuum beansprucht das Recht, in eigener Selbstbestimmung und nach eigenen Fähigkeiten handeln zu können. Dieser neuzeitlichen Perspektive korrespondiert die ethische Fragestellung, in welchem Sinn der Mensch als frei bezeichnet werden kann. Zwei miteinander zusammenhängende Differenzierungen bestimmen die Diskussion über die F.: die Unterscheidung zwischen Willensfreiheit und Handlungsfreiheit und die zwischen positiver und negativer F.
Die Unterscheidung zwischen Willens- und Handlungsfreiheit wird durch Kant und Hume repräsentiert. Der Kernpunkt ihres Gegensatzes ist durch die Frage begründet, in welchem Sinne der Mensch frei ist von Determination und Fremdbestimmung. In seinem Traktat über die menschliche Natur versucht Hume eine Antwort darauf zu geben, in welchem Sinne von Wollen die Rede ist, indem er ausführlich die Handlungsfreiheit in Abgrenzung zur Willensfreiheit begründet: Die F. des Willens i. S. des Freiseins von allen Bedingungen würde seiner Ansicht nach dazu führen, dass keinerlei Motive, Wünsche oder Charakterzüge die Entscheidungen begründen könnten. Eine derartige Bedingungslosigkeit der Entscheidung hätte zur Konsequenz, dass keine Verbindung zwischen dem Charakter einer Person und ihren Handlungen hergestellt werden könnte, so dass diese Handlung der Person auch nicht zugerechnet werden könnte. F. der Handlung heißt, dass eine Person ohne Beeinträchtigung durch äußere Umstände eine Handlung ausführen kann. In einer allgemeineren Bestimmung bedeutet Handlungsfreiheit die Fähigkeit und das Vermögen zum bewussten und freiwilligen Tun – entsprechend den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten und im Hinblick auf die gegebenen Umstände. In gesellschaftlich-politischer Hinsicht bedeutet Handlungsfreiheit die Möglichkeit und das Recht, ohne äußere Beeinträchtigung nach eigenem Wollen und eigener Überzeugung zu handeln. Im Gegensatz dazu wird von Kant die Willensfreiheit als ein Vermögen bestimmt, einen Zustand von selbst anzufangen (KrV B 472–479, B 560–586). Das bedeutet, dass der Wille sich nicht von sinnlichen Antrieben und äußeren Zwängen bestimmen lässt, sondern selbst Ursprung seines Wollens ist. Der Mensch kann sich in ein Verhältnis zu seinen Neigungen, Wünschen und Glücksvorstellungen setzen und ihnen nach eigener Beurteilung nachgehen oder sie verwerfen. Bei Kant wird eine solche Einstellung als praktische Vernunft bezeichnet. In der Kritik der reinen Vernunft wird die Unabhängigkeit von aller Kausalität und das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen, als transzendentale F. bestimmt, in der Kritik der praktischen Vernunft (§ 8) wird die praktische F. negativ als Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit, positiv als Vermögen der reinen Vernunft, für sich selbst praktisch zu sein, d.h. als Selbstbestimmung i. S. der eigenen Gesetzgebung, charakterisiert.
Von Fichte wird der Gedanke der F. auf eine vollständige Absolutheit des Ich hin radikalisiert. Diese unbedingte Freiheit versteht er als ein Faktum des Selbstbewusstseins. Darin sieht er das Wesen der kritischen Philosophie, dass ein absolutes Ich als schlechthin unbedingt und durch nichts Höheres bestimmbar aufgestellt werde. F. ist das einzig wahre Sein. Demgegenüber verliert die Außenwelt den Anschein von Wirklichkeit, den sie im alltäglichen Bewusstsein besitzt. Entsprechend sieht Fichte auch die Problematik der Ethik. Aus dem absolut verstandenen Ich erwächst die sittliche Verpflichtung des Menschen. Die Gesetzgebung des vernünftigen Wesens richtet sich an sich als empirisches Ich. Das absolute Ich artikuliert sich als Stimme des Gewissens. Bei Hegel wird der Begriff der F. (wie der Begriff der Vernunft) nicht in einem subjektiven Sinn, sondern in einem objektiven Sinn verwendet, nämlich als substantielle F. Im Staat kommt die F. zu ihrem höchsten Recht, er stellt die Wirklichkeit der konkreten F. dar (Rechtsphilosophie § 57, § 258 f.). Der Mensch findet seine wahre F. nur in der Einordnung in den Staat. Der Staat repräsentiert insofern die substantielle F., als er keinen Zweck mehr außer sich hat (d.h. nicht um eines anderen Zweckes willen da ist), sondern die absolute Unabhängigkeit darstellt. Sofern nun die Idee der F. die Sittlichkeit ist, kann Hegel den Staat als die Wirklichkeit der sittlichen Idee bezeichnen.
Rousseau setzt die Willensfreiheit als anthropologische Grundbestimmung des Menschen an, in der sich die Geistnatur der Seele zeige. So bedeutet zunächst F. das Fehlen einer instinkthaften und damit naturhaften Determination des Menschen. Aus dieser natürlichen F. ergibt sich für den Menschen die Notwendigkeit, sich selbst eine Grenze in Gestalt der moralischen F. zu schaffen. Indem er sich selbst ein Gesetz gibt, verleiht er seiner Selbstbestimmung einen adäquaten Ausdruck. Die äußere Voraussetzung für eine Selbstgesetzgebung wird durch die volonté général geschaffen, indem alle durch einen vertraglichen Verzicht auf F. der begrenzten »bürgerlichen F.« zustimmen. – Die Auseinandersetzung zwischen negativer und positiver F. berührt die Frage, was unter Selbstbestimmung zu verstehen sei. Taylor kritisiert an dem negativen Begriff von F., wie er z.B. von Hobbes formuliert wurde als F. von äußeren Hindernissen, dass ein solches Freiheitsverständnis nur auf einem Möglichkeitskonzept beruhe. Der Begriff der positiven F. dagegen, wie er ihn versteht, bezieht die Vorstellung darüber mit ein, wie wir über uns selbst und die Form unseres Lebens bestimmen – der Freiheitsbegriff ist hier ein Verwirklichungsbegriff.
Im Rahmen der Philosophie des Deutschen Idealismus wird dem Begriff der F. eine zentrale Stellung im Rahmen der Konstitution von Gegenständen und Welt eingeräumt. Bei Fichte wird die spontane Selbsthervorbringung des Ich als ursprüngliche Tathandlung als F. gedeutet. Hegel differenziert zwischen einer abstrakten F., die als Nichtabhängigsein von einem anderen und reines Sich-auf-sich-selbst-Beziehen zu verstehen ist, und einer konkreten F., in welcher die Einsicht in die Notwendigkeit (des anderen seiner selbst) zum Ausdruck kommt. – In der Existenzphilosophie wird F. zu einer ontologischen Grundbestimmung des Menschen. Bei Heidegger wird sie interpretiert als Überstieg zur Welt, als Grund des Grundes, welcher das Dasein in endliche Wahlmöglichkeiten stellt, und später als Ermöglichung von Wahrheit als Entbergung des Seienden.
Literatur:
- G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts
- M. Heidegger: Vom Wesen des Grundes. Pfullingen 1957
- D. Hume: Ein Traktat über die menschliche Natur. Buch II. Hamburg 1978. 3. Teil. S. 136 ff
- I. Kant: Kritik der praktischen Vernunft
- A. Pieper: Ethik als Philosophie der Freiheit. In: Pragmatische und ethische Normenbegründung. Freiburg/München 1979. S. 201 ff
- J.-J. Rousseau: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen. In: Schriften zur Kulturkritik. Hg. v. K. Weigand. Hamburg 1983. S. 77 ff
- Ders.: Der Gesellschaftsvertrag. Hg. v. H. Weinstock. Stuttgart 1971
- R. Spaemann: Freiheit. In: HWPh
- U. Steinvorth: Freiheitstheorien in der Philosophie der Neuzeit. Darmstadt 1987
- Ch. Taylor: Negative Freiheit. Frankfurt 1992
- W. Weischedel: Skeptische Ethik. Frankfurt/M. 1997.
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