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Technik: Wie entsorgt man einen Kernfusionsreaktor?

17 Jahre: So lange sollen die Arbeiten an der Stilllegung des 1983 in Betrieb genommenen Kernfusionsreaktors Joint European Torus dauern. Forscher hoffen, viel dabei zu lernen.
Innenleben des Fusionsreaktors JET
Die Metallplatten im Inneren des Joint European Torus sind von Tritium durchsetzt, einem radioaktiven Wasserstoffisotop.

Die Stilllegung einer der weltweit führenden Kernfusionsreaktoren hat begonnen, knapp 40 Jahre nach seiner Inbetriebnahme. Fachleute werden den voraussichtlich 17 Jahre dauernden Abbau des Joint European Torus (JET) in der Nähe von Oxford in noch nie da gewesener Ausführlichkeit untersuchen – und die Erkenntnisse nutzen, um künftige Fusionskraftwerke sicher und effizient zu gestalten.

»Wir fangen an, ernsthaft über Fusionskraftwerke nachzudenken«, sagt Rob Buckingham, der bei der britischen Atomenergiebehörde (UKAEA), die JET beaufsichtigt, für die Stilllegung zuständig ist. »Das bedeutet, den gesamten Lebenszyklus der Anlage im Blick zu haben.«

Kernfusion ist ein quantenmechanischer Prozess, der auch der Sonne ihre Strahlkraft verleiht. Eine darauf aufbauende Technologie könnte der Menschheit eine nahezu unbegrenzte, saubere Energiequelle bieten. Allerdings erfordert die Umsetzung komplexe ingenieurtechnische Prozesse, die noch nicht erprobt sind; zudem gestaltet sich auch eine Nutzung der entstehenden Energie als äußerst schwierig. Deshalb dürfte es noch Jahrzehnte bis zu kommerziellen Kernfusionsreaktoren dauern.

Dennoch treiben Forscherinnen und Forscher die Entwicklung der Reaktoren stetig voran. 2022 hat JET die größte durch Fusion geschaffene Energiemenge erzeugt. Und die US-amerikanische National Ignition Facility (NIF) in Livermore, Kalifornien – das Flaggschiff der US-amerikanischen Fusionsforschung – produziert inzwischen bei einer Fusionsreaktion routinemäßig mehr Energie, als zugeführt wird. In den Berechnungen der NIF ist jedoch nicht der gesamte Energiebedarf für den Betrieb der Anlage enthalten. Diesen müssten Fusionskraftwerke überschreiten, um wirklich kostendeckend zu arbeiten. Trotzdem haben Medien und Fachleute diese ersten Erfolge gefeiert.

Wohin mit den Brennstoffresten?

JET dient als Prüfstand für ITER, einen zirka 22 Milliarden Euro teuren Fusionsreaktor, der in der Nähe der südfranzösischen Stadt Saint-Paul-lès-Durance gebaut wird. Dieser soll in den 2030er Jahren in Betrieb gehen und belegen, dass sich die Kernfusion als Energiequelle eignet. Anhand der Erfahrungen, die bei JET gesammelt wurden, haben Forschende die Materialien zum Bau von ITER sowie den zu verwendenden Brennstoff ausgewählt.

Versuchsreaktor ITER

Der schwierigste Teil der Stilllegung des JET-Standorts ist der Umgang mit den radioaktiven Komponenten. Im Gegensatz zur Kernspaltung, die heutige Kernreaktoren antreibt, hinterlässt der Fusionsprozess keine über Jahrtausende strahlenden Abfälle. JET gehört jedoch zu den wenigen Anlagen weltweit, die erhebliche Mengen von Tritium verwendet haben, ein radioaktives Wasserstoffisotop. Auch künftige Fusionsreaktoren wie ITER werden Tritium als Brennstoff nutzen. Das Isotop hat eine Halbwertszeit von 12,3 Jahren. Somit kann die Strahlung zusammen mit den bei der Fusion freigesetzten hochenergetischen Teilchen die Komponenten der Anlagen immer noch jahrzehntelang radioaktiv verseuchen.

»Das nachhaltige Recycling von Tritium ist wirtschaftlich sinnvoll«Rob Buckingham, Physiker

Die Stilllegung eines Fusionsexperiments muss nicht bedeuten, »alles in Sichtweite in Schutt und Asche zu legen und über lange Zeiträume niemanden in die Nähe des Standorts zu lassen«, wie es die Plasmaphysikerin Anne White vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge formuliert. Stattdessen versuchen die Ingenieure, möglichst viele Teile der Anlage wiederzuverwenden. Dazu gehört auch, Tritium zu entfernen, wo immer es möglich ist, sagt Buckingham. Das senke die Radioaktivität, und das Isotop könne als Brennstoff wiederverwendet werden: »Das nachhaltige Recycling dieser knappen Ressource ist wirtschaftlich sinnvoll.«

Letztlich werden Fachleute die gewonnenen Kenntnisse aus der Stilllegung von JET nutzen können, um bessere Recyclingprozesse in künftige Anlagen einzubinden – etwa im Spherical Tokamak for Energy Production (STEP), dem geplanten Prototyp eines kommerziellen Reaktors in Großbritannien. Die Informationen werden auch in künftige Regulierungen einfließen, sagt Buckingham.

Ein radioaktiver Donut

JET und ITER sind beide so genannte Tokamak-Reaktoren, die Gas in einem donutförmigen Hohlraum einschließen. Bei JET wurde ein Plasma aus Wasserstoffisotopen, das zehnmal heißer ist als der Kern der Sonne, durch Magnete zusammengepresst, bis die Atomkerne miteinander verschmolzen. 1997 wurde zum letzten Mal eine vergleichbare Anlage außer Betrieb genommen, bei der Abschaltung des Tokamak-Fusions-Testreaktors im Princeton Plasma Physics Laboratory in New Jersey. Viele Teile, wie die Instrumente, die das heiße Gas in den Reaktor einleiteten, konnten wiederverwendet werden – ebenso wie der Standort selbst. Der Tokamak musste jedoch mit Beton gefüllt, zerschnitten und vergraben werden.

Innenraum des Joint European Torus (JET) | Der Kernfusionsreaktor JET enthält einen donutförmigen Hohlraum, in dem das Plasma erhitzt wird.

Die Fachleute am JET hoffen, insgesamt wenig Abfall zu hinterlassen. Die größte Herausforderung besteht laut Buckingham darin, herauszufinden, wo sich das Tritium befindet. Dann müsse man es aus den Materialien entfernen, auch aus den Metallkacheln, die das Innere des Tokamaks auskleiden. Die JET-Ingenieure werden ein überarbeitetes Robotersystem einsetzen, um die Kacheln zu entfernen. Außerdem werden sie mit ferngesteuerten Lasern messen, wie viel Tritium sich in den übrigen Materialien befindet. Wie Wasserstoff ist Tritium ein Gas, »das alle Stoffe durchdringt, und wir müssen genau wissen, wie tief es eingedrungen ist«, sagt Buckingham.

Im Rahmen der JET-Studien werden 2024 insgesamt 60 Wandkacheln geborgen und untersucht – die ersten von mehr als 4000 Komponenten. »Wir können diese Informationen nutzen, um die vielen Tonnen von Kacheln und Bauteilen, die in den nächsten Jahren entfernt werden, von Tritium zu befreien«, erklärt Buckingham.

Tritium aufspüren und entfernen

Um das Tritium zu extrahieren, müssen die Ingenieure die Bauteile in einem Ofen erhitzen, bevor sie das freigesetzte Isotop in Wasser auffangen. Daraus lässt sich radioaktive Isotop dann entfernen und wieder als Brennstoff nutzen. Die Materialien sind danach bloß noch schwach radioaktiver Abfall, wie er auch in Universitäten und Krankenhäusern anfällt. Abwandlungen dieses Verfahrens werden derzeit für andere Materialien getestet, darunter für Harze und Kunststoffe.

Forscherinnen und Forscher am JET untersuchen, wie sich die schwach radioaktiven Abfälle sowie die weitaus geringere Menge an mittelradioaktiven Abfällen entsorgen lassen. Man könnte sie zum Beispiel wiederaufbereiten, in spezielle Endlager bringen oder sie einlagern, bis die Radioaktivität auf ein niedrigeres Niveau gesunken ist. Einige nicht von Radioaktivität betroffene Teile von JET, wie Diagnosegeräte und Testkomponenten, wurden bereits in französischen, italienischen und kanadischen Fusionsexperimenten eingesetzt.

»Die Untersuchung der Schäden wird nützliche Daten liefern«Joelle Mailloux, Physikerin

Die letzten Versuche am JET endeten im Dezember 2023 spektakulär: Die Forscher und Forscherinnen beschädigten die Anlage absichtlich, indem sie einen Strahl energiereicher relativistischer Elektronen – die bei der Störung des Plasmas entstehen – in die Innenwand des Reaktors schossen. »Die Untersuchung der Schäden wird nützliche Daten liefern, um die detaillierten theoretischen Vorhersagen überprüfen«, hofft Joelle Mailloux, die das wissenschaftliche Programm am JET leitet.

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