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Weiblicher Zyklus: »Die Idee einer doppelten Sexualität ist widerlegt«

Stehen Frauen an ihren fruchtbaren Tagen mehr auf maskuline Typen? Ein Mythos, sagt der Psychologe Lars Penke von der Universität Göttingen im Interview. »Der Zyklus macht psychologisch etwas mit Frauen, aber nicht so wie vermutet.«
Ein Paar liegt glücklich auf dem Bett
Ob zu Anfang, in der Mitte oder am Ende des Zyklus: Frauen bleiben bei ihren Vorlieben. (Symbolbild)

In den Tagen um den Eisprung sind Frauen in der Regel fruchtbar. Verhalten sie sich in dieser Phase anders als sonst? Neuere Studien widersprechen der populären Theorie, dass Frauen in der Zyklusmitte einen anderen Männertyp bevorzugen, berichtet der Psychologe Lars Penke von der Universität Göttingen. Doch er und sein Team konnten durchaus zyklische Veränderungen der weiblichen Psyche beobachten.

»Spektrum.de«: Herr Professor Penke, könnten Sie kurz und knapp erklären, was im Verlauf eines Menstruationszyklus im Körper einer Frau passiert?

Lars Penke: Der Menstruationszyklus der Frau wird von Sexualhormonen gesteuert. Der Körper schüttet die Hormone über ungefähr 28 Tage hinweg in einer bestimmten Abfolge aus. Dieser Hormonzyklus sorgt dafür, dass eine Eizelle heranreift und Frauen für kurze Zeit fruchtbar sind. Wenn die Eizelle nicht befruchtet wird, wird sie mit der Gebärmutterschleimhaut wieder abgebaut und es kommt zur Menstruationsblutung.

Warum interessieren sich Psychologinnen und Psychologen dafür?

Lars Penke | Der Psychologe ist Professor für biologische Persönlichkeitspsychologie an der Universität Göttingen. Er erforscht unter anderem die Effekte von Hormonen auf die Wahrnehmung, das Verhalten und die Partnerschaft.

Wir erforschen, wie sich das Erleben und Verhalten über den Menstruationszyklus verändert. Die Botenstoffe, die den Zyklus steuern, gelangen über das Blut in alle Teile des Körpers, bis ins Gehirn. Sie binden dort an Rezeptoren und beeinflussen so auch psychische Vorgänge. Vor allem der Level an Östradiol und Progesteron schwankt, ein Östrogen und ein Gestagen. Das sind Geschlechtshormone, die bei Frauen in deutlich höheren Dosen vorkommen als bei Männern. Das Besondere an dieser Forschung ist, dass wir mit den Hormonen ein physiologisches Substrat haben, das die psychologischen Effekte auslöst und das wir messen können.

Wie machen Sie das? Wie stellen Sie fest, in welcher Zyklusphase sich die Frauen befinden?

Der direkteste Weg ist, die Hormone im Blut zu messen. Das ist aber recht aufwändig. Wir arbeiten deshalb viel mit Speichelproben. Die Werte, die man da erhält, sind zwar um eine Viertelstunde verzögert, doch für die meisten Studien macht das keinen Unterschied. Man kann natürlich auch die Frauen bitten, ihren Zyklus selbst zu beobachten, sofern sie keine Hormone nehmen und einen regelmäßigen Zyklus haben. Der Standardzyklus ist 28 Tage lang und schwankt gewöhnlich zwischen 24 und 32 Tagen, es gibt allerdings größere Ausreißer. Man berechnet dann den Eisprung rückwärts ausgehend von der folgenden Menstruation, weil die Phase nach dem Eisprung konstanter ist als die Phase vorher. Trotzdem ist dieses Verfahren vergleichsweise ungenau. Der Goldstandard wäre, im Morgenurin das luteinisierende Hormon zu messen, das den Eisprung auslöst. Es steigt zirka einen Tag vorher rapide an und fällt danach ebenso schnell wieder ab.

Das Auf und Ab der Hormone | Im Lauf des Menstruationszyklus verändern sich die Konzentrationen verschiedener Hormone im weiblichen Körper. Während und kurz nach der Periodenblutung spielt vor allem das follikelstimulierende Hormon (FSH) eine wichtige Rolle: Es stößt die Reifung der Eibläschen (Follikel) an. Diese produzieren Östrogene, die den Aufbau der Gebärmutterschleimhaut anregen. Der steigende Östrogenspiegel löst schließlich einen abrupten Anstieg des luteinisierenden Hormons (LH) aus: Es kommt zum Eisprung. Der Follikel, der sich nun zum Gelbkörper entwickelt, erzeugt zusätzlich Progesteron, das den weiteren Aufbau der Gebärmutterschleimhaut unterstützt. Wird die Eizelle innerhalb der nächsten Tage nicht befruchtet, geht der Gelbkörper zu Grunde. Die Progesteron- und Östrogenkonzentration sinkt dann wieder, die Schleimhaut wird abgestoßen, und es kommt zur nächsten Monatsblutung.

Kann man den Eisprung auch direkt beobachten?

Per Ultraschall wäre das möglich, aber für unsere Forschung ist das zu aufwändig und zu invasiv. Manche Frauen nehmen den Eisprung sogar selbst wahr. Das liegt daran, dass die Eizellen die größten Zellen im Körper sind, deshalb sind die zellulären Prozesse unter Umständen spürbar.

»Der Zyklus macht psychologisch etwas mit Frauen, aber nicht so wie vermutet«

Kann man einer Frau von außen ansehen, ob sie gerade fruchtbar ist?

Bei vielen Spezies sind die Weibchen nur phasenweise fruchtbar und sexuell aktiv, darum zeigen sie das deutlich an. Bei unseren nächsten Artverwandten zum Beispiel, den Schimpansen und den Bonobos, gibt es in dieser Phase deutlich sichtbare Veränderungen wie die Rektalschwellung. Ein ganzer Forschungszweig hat deshalb beim Menschen nach solchen Hinweisreizen gesucht – vergebens. Lange wurde angenommen, dass der Eisprung bei Frauen versteckt ist, damit die Männer nicht genau wissen können, welche Nachkommen ihre eigenen sind. Unsere Babys brauchen sehr lange Fürsorge, und dabei hilft die väterliche Unterstützung. Aber wenn die Männer genau wüssten, wann eine Frau fruchtbar ist, wäre es einfacher, sich immer wieder aufs Neue eine fruchtbare Frau zu suchen. Wenn sie das nicht wissen, ist es taktisch für die Weitergabe der eigenen Gene klüger, sich auf nur eine Frau und ihre Nachkommen zu konzentrieren.

Und es gibt tatsächlich keinen erkennbaren Hinweis?

Es gibt womöglich minimale Effekte, was die Röte der Gesichtshaut angeht, allerdings so schwach, dass sie für das menschliche Auge nicht sichtbar sind. Man hat alles untersucht: das Aussehen, den Geruch, die Stimmlage, das Verhalten. Tragen die Frauen in der Zyklusmitte zum Beispiel eher rote Kleidung? Da gab es erste Hinweise, die Befunde wurden jedoch nicht bestätigt. In den vergangenen Jahren hat man vieles überprüft. Demnach macht der Zyklus psychologisch etwas mit Frauen, aber nicht so wie vermutet.

Die vielleicht am meisten diskutierte Frage war, ob sich die Präferenzen bei der Partnerwahl verändern: Finden Frauen um den Eisprung herum einen maskulineren Männertyp attraktiver? Dazu gab es Studien in namhaften Journals wie »Nature«. Man hat Bilder von Männern per Computer so verändert, dass die Gesichtszüge oder der Körperbau mehr oder weniger maskulin waren, und die weiblichen Versuchspersonen sollten angeben, welches Bild ihnen besser gefiel. So ähnlich hat man auch nach Vorlieben für tiefe Stimmen oder ein dominantes Verhalten gesucht. 2014 gab es eine Metaanalyse dazu; sie bestätigte die Idee einer »dualen Sexualität« der Frau.

Was ist damit gemeint?

Dieser Theorie nach dient die Sexualität der Frau an den fruchtbaren Tagen mehr der Fortpflanzung, die Frau bevorzugt dann eher Männer mit den »besten Genen«. Den Rest der Zeit sei die Sexualität vermehrt auf die soziale Funktion ausgelegt, also auf die Bindung in der Paarbeziehung. Eine Frau mit einem fürsorglichen Partner würde also um den Eisprung herum maskuline Männer attraktiver finden. Und Männer sollten diese Phasen erkennen können und sich dann besonders bemühen. Diese Annahmen haben verschiedene Arbeitsgruppen, einschließlich unserer, in den vergangenen Jahren mit umfangreichen Studien überprüft. Fast nichts ließ sich bestätigen. Die Idee einer doppelten Sexualität ist widerlegt, die Beweislast ist erschlagend.

»Nahe dem Eisprung finden Frauen alle Männerkörper etwas attraktiver«

Aber Sie haben auch zyklische Veränderungen gefunden?

Ja. Der robusteste Effekt betrifft das sexuelle Interesse: Frauen haben um den Eisprung mehr Lust auf Sex. Doch ihr Männergeschmack bleibt gleich. Wir haben in einer Studie getestet, ob sich ihre Präferenzen über den Zyklus hinweg verändern. Das Ergebnis war: Nahe dem Eisprung finden Frauen alle Männerkörper etwas attraktiver. Es geht also um das sexuelle Interesse allgemein, nach Freud »Libido« oder »Sexualtrieb« genannt.

Wie ist es mit dem Interesse von Frauen an Frauenkörpern?

Generell können heterosexuelle Frauen auch Frauen attraktiv finden; sie sind nicht so sehr auf das andere Geschlecht fixiert wie heterosexuelle Männer. Der beschriebene Effekt, die steigende Anziehungskraft in der Zyklusmitte, gilt jedoch nur für männliche Körper. Für homosexuelle Frauen gibt es leider fast gar keine psychologische Zyklusforschung. Zum einen, weil es bei den Theorien um evolutionäre Vorteile geht, zum anderen, weil es schwierig ist, größere homosexuelle Stichproben zu rekrutieren, besonders für die recht aufwändigen Zyklusstudien.

Wie sieht es aus, wenn Frauen die Pille nehmen?

Bei ihnen findet man die Veränderungen in der Mitte des Zyklus nicht. Die hormonellen Verhütungsmittel verhindern den Eisprung grob gesagt, indem sie die Hormone konstanter halten, und so bleiben auch die psychologischen Veränderungen aus. Es gibt aber Effekte, die mit dem körperlichen Unwohlsein während der Menstruation zu tun haben: In dieser Phase sinkt das sexuelle Interesse tendenziell auch bei Frauen, die die Pille nehmen. Psychische Effekte wie das prämenstruelle Syndrom findet man bei ihnen natürlich ebenso.

Zurück zu den Frauen, die nicht hormonell verhüten. Zeigen sich die fruchtbaren Tage noch auf andere Weise als im steigenden sexuellen Interesse?

Der größte Effekt ist auf jeden Fall, dass sie um den Eisprung mehr Interesse an Sex haben, mit dem eigenen Partner genauso wie potenziell mit anderen Männern. Daneben finden sich Frauen um den Eisprung ebenfalls selbst attraktiver. Laut neuen Befunden schlägt sich das auch in der Selbstsicherheit nieder, so dass Frauen dominanter und forscher werden können. Und noch ein Effekt ist recht robust: In der zweiten Zyklushälfte, zwischen Eisprung und Menstruation, berichten die Frauen, dass sie mehr essen. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass das Gewicht um 200, 300 Gramm schwankt. Das könnte zwar ebenso an vermehrten Wassereinlagerungen liegen. Aber man findet einen gesteigerten Appetit ebenso bei anderen Spezies, zum Beispiel bei Rhesusaffen. Wenn man ihnen Kekse anbietet, essen sie in der zweiten Zyklushälfte mehr davon.

Äußern sich die psychischen Veränderungen auch im Sozialverhalten, zum Beispiel durch mehr Lust auf Partys?

Ja, aber viel schwächer als im sexuellen Interesse. Und das reicht nicht bis auf die Ebene der Kleidung. Egal ob man sich Fotos ansieht oder ob man Frauen zeichnen lässt, was für ein Outfit sie gerne tragen würden, wenn sie heute ausgehen würden: Wir haben keine Unterschiede zwischen den Zyklusphasen gefunden.

»Manche erleben um den Eisprung herum sehr deutliche psychologische Effekte, andere gar keine«

Ist nichts dran an dem Mythos, dass Kellnerinnen um den Eisprung herum mehr Trinkgeld bekommen?

Davon habe ich auch schon in der Presse gelesen, aber eine wissenschaftliche Studie existiert dazu meines Wissens nicht. Es gab jedoch eine ähnliche Untersuchung von Geoffrey Miller in New Mexico mit Lapdancerinnen, also Frauen, die ihr Geld damit verdienen, leicht bekleidet vor einzelnen Männern zu tanzen. In einem Onlinetagebuch haben sie notiert, wie viel Trinkgeld sie in einer Schicht verdient hatten und wann ihre letzte Monatsblutung war. Frauen, die nicht hormonell verhüteten, bekamen demnach um den Eisprung herum deutlich mehr Trinkgeld. Die Stichprobe war nicht groß, doch die Studie hat für viel Aufsehen gesorgt. Meines Wissens wurde das Ergebnis allerdings noch nicht repliziert.

All diese Befunde beziehen sich auf Frauen, die Kinder bekommen können. Was passiert, wenn sie älter werden?

Die geschilderten Befunde beschränken sich auf die reproduktive Lebensspanne bis zur Menopause, also der letzten Monatsblutung. Dann setzt der Hormonzyklus aus und damit auch der psychologische Effekt. Übrigens gibt es nur wenige andere Spezies, die wie wir einen Ovulationszyklus und eine Menopause haben, Belugas und Narwale zum Beispiel. In der Evolution hat sich durchgesetzt, dass Frauen nicht bis ins hohe Alter Kinder bekommen können. Zum einen steigt das Risiko, dass sie ihre Kinder nicht mehr aufziehen können, zum anderen hilft es ihren Enkeln, wenn sie als Großmütter zur Verfügung stehen. Die von Hormonen ausgelösten Effekte sind außerdem kostspielig, nur ein gesunder Körper kann sich das leisten. Deshalb schütten kranke und unterernährte Frauen weniger Hormone aus. Doch selbst unabhängig von Alter und Fitness gibt es große Unterschiede zwischen Frauen. Manche erleben um den Eisprung herum sehr deutliche psychologische Effekte, andere gar keine.

Nach traditionellen Vorstellungen ist der Zyklus eher Frauensache. Kommt es vor, dass andere Menschen es komisch finden, dass Sie sich als Mann so eingehend damit beschäftigen?

Nein, das Thema interessiert viele, und es wird eher als emanzipiert angesehen, dass ich mich als Mann damit auskenne. Ich beschäftige mich aber auch nicht nur mit dem Zyklus, sondern allgemein mit Hormonen und ihrer Wirkung, etwa mit Testosteron bei Männern.

Was fasziniert Sie an Hormonen so besonders?

Sie wirken sehr breit auf Körper und Psyche. Sie versetzen uns in eine Art anderen Modus, genau wie Emotionen. Wenn wir beispielsweise gerade Angst empfinden, dann wird alles andere unwichtig – selbst die Physiologie funktioniert anders. So ähnlich ist es mit den Hormonen: Wenn Männer einen hohen Testosteronspiegel haben, verhalten sie sich in der Regel dominanter, wettbewerbsorientierter, weniger fürsorglich. Mich interessiert vor allem, wozu das eigentlich gut ist. Wir wurden von der Evolution optimiert. Es ist kein Zufall, dass unsere Körper so sind, wie sie sind.

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