Dunkle Energie: Neue Fragen zur Ausdehnung des Universums
Die Dunkle Energie könnte mit der Zeit schwächer werden. Das war eine völlig unerwartete Nachricht, die Forschende des The Dark Energy Spectroscopic Instrument (kurz: DESI) im April 2024 verkündeten, als sie die bislang präziseste Karte unseres Universums veröffentlichten. »Wir haben herausgefunden, dass die kosmologische Konstante keine Konstante ist«, sagte der leitende Wissenschaftler von DESI, Mustapha Ishak-Boushaki, in einem Interview mit dem Wissenschaftsjournalisten Phil Halper auf Youtube. »Das ändert alles. Das ändert das Schicksal unseres Universums.«
Eine veränderliche Dunkle Energie wirft viele Fragen auf. Einige Fachleute nehmen an, dass eine alternative Gravitationstheorie eine dynamische kosmologische Konstante erklären könnte – eine Modifikation von Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie. Nun hat das DESI-Team neue Auswertungen der bisherigen Messdaten veröffentlicht, insgesamt drei Fachaufsätze, in denen diese Möglichkeit geprüft wird. Die Arbeiten stützen die vorigen Beobachtungen einer schwächer werdenden Dunklen Energie, stärken aber gleichzeitig Einsteins allgemeine Relativitätstheorie. »Die Tatsache, dass wir eine Übereinstimmung mit der allgemeinen Relativitätstheorie sehen und trotzdem diese Abweichung von der kosmologischen Konstante feststellen, öffnet die Büchse der Pandora: Was könnten uns die Daten tatsächlich sagen?«, sagte Ishak-Boushaki zu »New Scientist«.
DESI ist ein internationales Forschungsprojekt, an dem mehr als 900 Forschende von 70 Instituten beteiligt sind. Mit einer neuen Generation von Teleskopen suchen sie den Himmel in noch nie dagewesener Geschwindigkeit ab. Im April 2024 werteten sie die zwischen 2021 und 2022 gesammelten Daten aus: insgesamt sechs Millionen Galaxien und Quasare, mit denen sie bis zu elf Milliarden Jahre in die Vergangenheit unseres Alls blicken konnten. Das entspricht kosmologischen Rotverschiebungen bis zu etwa z = 4. Zunächst untersuchten die Forschenden die riesigen kugelförmigen Strukturen, in denen die gewöhnliche Materie im Universum angeordnet ist.
Diese kugeligen Gebilde entstanden durch ein Phänomen, das als »akustische baryonische Oszillation« (kurz BAO) bekannt ist. Dieses beschreibt, wie sich Materie und Licht im frühen Universum verhielten, bis zu einer Zeit von etwa 400 000 Jahre nach dem Urknall. Gewöhnliche Materie besteht aus Teilchen, den so genannten Baryonen. Im frühen Universum waren sie Spielball der Kräfte: Die Schwerkraft versucht sie zu verdichten, weil sich die Teilchen gravitativ anziehen; die überall vorherrschende elektromagnetische Strahlung – vermittelt durch Lichtteilchen (Photonen) – drückt die Teilchen auseinander. Dieses Wechselspiel erzeugte Dichtewellen, die BAOs. Doch sobald das Universum durch die Ausdehnung genug abkühlte und die Photonen der dichten Materie entkommen konnten, »fror« die pulsierende Bewegung ein. In der Verteilung der Materie sind die sich ausbreitenden Schallwellen fest eingeprägt. Diese Struktur unterlag später – Milliarden Jahre nach den ersten 400 000 Jahren – der kosmischen Expansion und ist daher heute noch im großräumigen Muster von Galaxien sichtbar! Je nachdem, wie stark die Dunkle Energie ist, bläht sie diese Strukturen mehr oder weniger auf. Die Galaxien sind auf riesigen, sich überlappenden Kugeloberflächen mit einem Radius von grob 490 Millionen Lichtjahren angeordnet. Anhand dieser Analyse fand das DESI-Team im April 2024 Hinweise auf eine abnehmende Dunkle Energie.
In den neu erschienenen Studien haben die Fachleute die zwischen 2021 und 2022 gesammelten Messdaten nun auch auf andere Merkmale hin untersucht. Unter anderem haben sie die kosmische Hintergrundstrahlung miteinbezogen, um genauer aufzulösen, wie Galaxien und Materie auf verschiedenen Maßstäben im Weltraum verteilt sind und sich über die Zeit gegenseitig beeinflusst haben. Das bietet die Möglichkeit, unterschiedliche Theorien der Schwerkraft zu testen und zu vergleichen. Damit wollten die Forschenden herausfinden, ob es Abweichungen zur allgemeinen Relativitätstheorie gibt, die eine veränderliche Dunkle Energie erklären könnten.
»Die allgemeine Relativitätstheorie ist auf der Skala des Sonnensystems sehr gut getestet worden, aber wir mussten ebenso prüfen, ob unsere Annahme auf viel größeren Skalen funktioniert«, sagt die Kosmologin Pauline Zarrouk vom französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNRS), die Teil des DESI-Teams ist. Die Ergebnisse der Fachleute bestätigen die Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie nun auch für diesen Fall. »Das heißt nicht, dass wir alle anderen Gravitationstheorien ausschließen«, sagte Ishak-Boushaki zu Halper. Doch das schränke Alternativen zu Einsteins Gravitation wie die MOND-Theorie weiter ein.
»Ich gehe jede Wette ein, dass das Ergebnis bestätigt wird«Mustapha Ishak-Boushaki, Physiker
Die erweiterte Auswertung der bisherigen Daten stimmt weiterhin mit den Hinweisen auf eine schrumpfende Dunkle Energie überein. Allerdings sprechen die Fachleute hierbei noch nicht von einer Entdeckung, da die Messungen noch nicht statistisch signifikant sind. »Der Moment der Wahrheit wird im März 2025 kommen, wenn alles gut läuft«, erklärte Ishak-Boushaki Halper. Dann plant das DESI-Team, die Auswertung weiterer Daten zu veröffentlichen und damit die statistische Signifikanz ihrer Beobachtungen zu steigern – oder zu senken. »Ich gehe jede Wette ein, dass das Ergebnis bestätigt wird«, sagte Ishak-Boushaki während des Youtube-Interviews. »Wir haben drei Datensätze, die alle das Gleiche aussagen.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.