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Energien der Zukunft - Zukunft der Energien: Sicher?

Ja!, möchte man den streitenden Parteien zurufen, die beim Thema Kernenergie heftig aneinander geraten. Ihr habt ja beide Recht! Dumm nur, dass Ihr vollkommen gegensätzliche Positionen vertretet.
Radioaktivität
Technischer Sachverstand ist nicht jedem gegeben. Nichts zeigt das deutlicher als der Ausspruch eines Besorgten, der meinte: "Früher, als es das Atom noch nicht gab, war alles viel besser ..." Er hatte offensichtlich keine Ahnung, wie lange es diese Bausteine der Materie bereits gibt.

Die Äußerung fiel vor langer Zeit. Damals, so gegen Mitte der 1970er Jahre, ging es um den Bau und den Betrieb von immer mehr Kernkraftwerken, mit denen der nicht nachlassende Energiehunger Deutschlands gestillt werden sollte. Der Schock der Ölkrisen steckten der Wirtschaft und den Autofahrern in den Knochen. Es ging seinerzeit aber ebenso bereits um Fragen der Sicherheit, der Wiederaufarbeitung und der Endlagerung von Strahlenabfällen.

Bemerkenswert war, dass der Besorgte nicht zu den früher massiv auftretenden Atomkraftgegnern gehörte. Er war ein argloser, älterer Bürger. Und er war schlichtweg von den Argumentationsschlachten beider Seiten – den Befürwortern wie den Gegnern – überfordert und entschied sich deshalb einfach für eine Position.

Damals gab es kaum ein Entrinnen. Entweder man war für die Kernenergie oder dagegen; ein Unentschieden ließ keiner gelten. Die einen sagten: Die Kernenergie sei so sicher wie keine andere Technik. Die anderen verwiesen auf Reihen von Störfällen. Nach ihrer Statistik kam es seit 1944 bis heute zu weit über einhundert nukleartechnischen Unfällen. Und sie gehen davon aus, dass viele weitere vom Staat, der nach ihrer Ansicht mit dem Großkapital unter einer Decke steckt, vertuscht wurden.

Der Super-GAU

Einer dieser Unglücke – ein nicht mehr beherrschbarer Super-GAU eines Reaktors in einem kleinen Ort in der Ukraine, das damals noch zur Sowjetunion gehörte – schien der Anti-Atomkraftbewegung Recht zu geben: In der Nacht vom 25. auf den 26. April 1986 explodierte der Block 4 einer Nuklearanlage bei Tschernobyl. Eine radioaktive Wolke reichte bis hoch in den Norden nach Skandinavien. Zwar sind nach offiziellen Angaben bei dieser Katastrophe weniger als sechzig Personen ums Leben gekommen – zumeist so genannte Liquidatoren, die an vorderster Front das ausgebrochene Feuer bekämpften und oft ungeschützt der massiven Radioaktivität des freigelegten Reaktorkerns ausgesetzt waren. Wegen der erhöhten Strahlenbelastung, welche die Bewohner im Einzugsbereich der Wolke ausgesetzt waren, stellen die Mediziner seit längerem aber deutlich mehr Krebserkrankungen fest. Sie glauben, diesen Spätfolgen fallen in absehbarer Zeit noch einige tausend Menschen zum Opfer.

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Auch vor Deutschland machte die radioaktive Wolke nicht halt, obgleich die Strahlenbelastung wohl meist niedriger war als beispielsweise zu Zeiten der weltweiten Atombomben- oder besser gesagt der Kernwaffentests. Dennoch mag sich der eine oder andere noch an die eindringlichen Warnungen erinnern, bloß keine Pilze zu verzehren, die man im Wald gesammelt hat. Oder an das vermeintlich radioaktiv belastete Molkepulver, das monatelang in Eisenbahnwagons kreuz und quer durch die Bundesrepublik kutschiert wurde und das der damalige bayerische Landwirtschaftsminister vor laufender Kamera noch löffelweise zu sich nahm, um seine Ungefährlichkeit zu beweisen. Weil die Verbraucher dennoch kein Vertrauen hatten, musste es schließlich teuer entsorgt werden.

Westliche Befürworter der Kernenergienutzung wiesen bei dem Reaktorunglück in Tschernobyl darauf hin, dass die Sicherheitsstandards in der Ukraine nicht an die des Westens heranreichten. Östliche sprachen von menschlichem Versagen und einer unglücksseligen Verkettung von Zufällen. Argumente, die der Westen ebenfalls gern bemüht, wenn es beispielsweise um ähnlich geartete Unfälle in Sellafield (damals noch Windscale genannt) oder um den am 28. März 1979 im amerikanischen Harrisburg geht.

Das Blatt wendet sich

Wie dem auch sei. Derartige Störfälle verschafften der Bewegung der Grünen Zulauf und verhalf ihnen, für eine gewisse Zeit Regierungsverantwortung in Deutschland mit zu übernehmen. In dieser Zeit leiteten sie den Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie ein. Doch offensichtlich wendet sich nun das Blatt langsam wieder.

Angesichts steigernder Ölpreise und drohendem Klimawandel wagen sich seit einigen Jahren die Fürsprecher der Kernenergie wieder an die Öffentlichkeit. Sie argumentieren mit billigem Atomstrom, mit der wirtschaftlichen Unabhängigkeit von den Krisenregionen, aus denen zumeist das Erdöl für unsere Wirtschaft sprudelt, sowie damit, dass der Betrieb eines Kernreaktors kein schädliches Kohlendioxid in die Luft bläst.

Doch lassen sich auch die eingefleischten Gegner nicht lumpen. Sie schenken den Energieerzeugern keinen Glauben und behaupten, der Preis für den Atomstrom sei schön gerechnet. Er enthalte weder die Kosten der Entsorgung des Atommülls noch seien dort ausreichend Mittel für Versicherungen eingeflossen, die für eventuelle Schäden in einer ähnlichen Größenordnung aufkämen wie es bei Tschernobyl der Fall war. Dieses Restrisiko trägt vornehmlich der Staat – und somit der Steuerzahler.

Zudem argumentieren die Verweigerer, dass die Gewinnung des Uran-Erzes sehr wohl Treibhausgase in erheblichen Mengen freisetze und dass die Vorräte ebenfalls begrenzt seinen. Sie sprechen von fünfzig Jahren, wenngleich die Befürworter deutlich höhere Reserven auf der Welt ausmachen. Überdies ließe sich der Brennstoff ja wieder aufbereiten oder gar in einem Reaktor ausbrüten.

Aber auch da kontern die Gegner. Sie behaupten, das sei der Einstieg in eine Plutonium-Wirtschaft, mit der sich kernwaffenfähiges Material herstellen ließe. Jedes Land, das eine eigene Kernenergie-Infrastruktur aufbauen wolle, würde dann zur potenziellen Atommacht. Wie real dieses Szenario ist, zeigt derzeit die internationale Krise um den Iran, das sich auf sein völkerrechtlich gewährtes Recht auf friedliche Nutzung der Kernenergie beruft, wenngleich man nicht behaupten könne, es mangele dem Land an Ölvorräten zur Deckung seines Energiehungers.

Lange Zeiträume

Damit sprechen die Gegner der Kernenergie einen weiteren wunden Punkt an: Wer garantiert, dass die Nationen ihre kerntechnischen Anlagen stets ausschließlich friedlich nutzen? Die Wirtschaft möchte ja eine Versorgungssicherheit, die über Jahrzehnte, wenn nicht gar über Jahrhunderte reicht. Doch gehen wir gedanklich nur einmal etwa siebzig Jahre in Deutschland zurück: Wer hätte sich dafür verbürgt, dass sich Hitler-Deutschland an einen Atomwaffensperrvertrag gehalten hätte? Oder wer hätte damals gedacht, dass sich die Bundesrepublik in weniger als fünfzig Jahren zu einer stabilen Demokratie entwickelt?

Endlagerstätten | Plan einer Endlagerstätte für radioaktiven Müll in einem Salzbergwerk: Obwohl Experten von weltweit über 140 000 Tonnen abgebrannter Brennelemente ausgehen, gibt es noch kein einziges Endlager auf unserem Planeten.
Angesichts dieser rasanten zeitlichen Entwicklungen ist es kaum verwunderlich, dass es einige Menschen mit der Angst zu tun bekommen, wenn sie hören, man müsse den Atommüll für einige hunderttausend Jahre (!) sicher verschließen. Das mag ein Grund dafür sein, warum es weltweit noch kein einziges Endlager für hoch radioaktiven Abfall gibt. Bei derart langen Zeiträumen ist man sich selbst über die Stabilität von geologischen Schichten unsicher sowie darüber, ob die Informationskette von Generation zu Generation reibungslos verläuft, um den Urenkeln bewusst zu machen, dass man diesen Lagerstätten einer besonderen Obhut angedeihen lassen sollte.

Neue Atommeiler

Von solchen Ängsten lassen sich die Befürworter der Kernenergie und viele Staaten aber nicht leiten. Während Länder wie Deutschland, Italien, Belgien oder Schweden den Ausstieg anpeilen, bauen andere neue Nuklearanlagen. Dazu zählen Frankreich, Finnland, Indien, China, Russland, Japan und – man mag es kaum glauben – die Ukraine. Dort plant die Regierung den Bau von 22 neuen Reaktoren zu den bereits bestehenden 14. Zudem will das Land am Schwarzen Meer künftig seinen eigenen Brennstoff herstellen.

Hochtemperatur-Kugelhaufenreaktor | Mit neuen Konzepten wie diesem Helium gekühlten Hochtemperatur-Kugelhaufenreaktor wollen Kernkraftwerkshersteller künftig noch sichere und effektivere Anlagen bauen.
Derzeit betreiben dreißig Länder über 440 Atommeiler. Sie decken etwa sieben Prozent des weltweiten Bedarfs an Elektrizität ab. In Deutschland erzeugen 17 Kernkraftwerke rund ein Drittel des Stromes. In Frankreich sowie Litauen sind es weit über siebzig Prozent. Sie gehören damit zu den Spitzenreitern. Wenn es nach den Befürwortern geht, soll die Kernenergie künftig eine immer wichtigere Rolle spielen – obgleich es derzeit so aussieht, als würde der Anteil an nuklear gewonnener Energie eher abnehmen.

Dennoch ersinnen Techniker und Ingenieure immer neue Kraftwerksvarianten. Sie heißen Schnelle Brüter, Kugelhaufen- oder Hochtemperaturreaktoren, werden mit flüssigem Natrium oder Helium gekühlt und sollen selbstverständlich noch wesentlich sicherer sein, als die bisherigen Anlagen.

Ob ihnen die Kernenergiegegner das aber abnehmen, steht noch in den Sternen. Sie wünschen sich weiterhin eine Energiewende der ganz anderen Art. So bleibt viel Raum für weiteren Disput.

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