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Starship: Auf den chaotischen Erstflug des Raumschiffs folgt die Abrechnung

Der missglückte erste Start der größten jemals gebauten Rakete hat ein Nachspiel. Die betreibende Firma SpaceX soll eine umfassende Sicherheits- und Umweltprüfung umgangen haben.
Die weltgrößte Rakete »Starship« hebt zum ersten Testflug ab
Die Starship-Rakete durchbrach bei ihrem ersten Testflug die Startrampe mit solcher Wucht, dass sie einen schwelenden Krater und großflächig pulverisierten Schutt hinterließ.

Flammen und Rauchwolken sind typisch für Raketenstarts. Zerstörte Abschussrampen und Wrackteile, die in den umliegenden Feuchtgebieten verstreut liegen, sind es ziemlich sicher nicht.

Andererseits war der Testflug des gigantischen »Starship« von SpaceX am 20. April – des größten Raketensystems aller Zeiten – kein typischer Raketenstart. Denn die Erwartungen sind groß. SpaceX will mit seinem Starship nicht weniger als die Raumfahrt selbst revolutionieren. Das soll einerseits durch eine beispiellose physikalische Leistung und andererseits durch die geplante Wiederverwendbarkeit des Systems erreicht werden. Bereits 2025 sollen damit NASA-Astronauten auf den Mond gebracht werden. Die Messlatte für den aktuellen Testflug, bei dem Starship die Erde hätte einmal fast umrunden sollen, lag allerdings deutlich niedriger: Die SpaceX-Verantwortlichen erklärten vorab, es werde bereits als Erfolg gewertet, wenn die Rakete die Startrampe verlässt.

Starship hat dieses Ziel in mehrerer Hinsicht übertroffen. Die Rakete, die auf ein Super-Heavy-Trägersystem mit 33 Triebwerken montiert war, durchbrach die Startrampe mit solcher Wucht, dass sie kaum mehr als einen schwelenden Krater und großflächig pulverisierten Schutt hinterließ. Sie schwebte noch einige Minuten in der Luft, bevor sich mehrere Triebwerke vorzeitig abschalteten und die Abtrennung der ersten Raketenstufe fehlschlug. All das löste schließlich das autonome Flugabbruchsystem von Starship aus, das nach einer unerwartet langen Verzögerung von etwa 40 Sekunden dafür sorgte, dass das Ungetüm in einer riesigen Explosion zerbrach und seine Trümmer in den Ozean schleuderte.

Trotz der zahlreichen technischen Pannen betrachten viele Luft- und Raumfahrtexperten den Flug als Erfolg, da er den SpaceX-Ingenieuren viele Daten lieferte. Die sollen den »iterativen Designprozess« des Unternehmens voranbringen – wiederholte Testläufe, die das System kontinuierlich verbessern. Doch je mehr sich der Rauch lichtete und die Folgen des Starts sichtbar wurden, desto trüber wurden die Aussichten – sowohl für die Starship-Rakete selbst als auch für die SpaceX-Startbasis in Südtexas. Die Schäden am Standort – und ein nun folgender Rechtsstreit, bei dem es um das Genehmigungsverfahren geht, das all dies erst ermöglichte – werden künftige Einsätze des riesigen Systems zumindest verzögern.

Wolkig mit Aussicht auf Betontrümmer

Beobachter zeigten sich verblüfft von der enormen Größe der Staubwolke, die beim Start aufgewirbelt wurde. »Zunächst war mir nicht klar, dass etwas mit der Startrampe nicht in Ordnung war – ich dachte, das läge einfach in der Natur dieser Rakete«, sagt Philip Metzger, Physiker an der University of Central Florida, der früher im Kennedy Space Center der NASA an der Technologie der Startrampe mitgearbeitet hat. »Die Menge an Staub und Rauch, die von der Startrampe aufstieg, war unglaublich. So etwas habe ich noch nie gesehen.«

Der Rauch stammte auch aus anderen Quellen, vor allem von einem durch den Start ausgelösten Feuer, das nach Angaben des U.S. Fish and Wildlife Service (FWS) etwa 3,5 Hektar eines angrenzenden Naturschutzgebiets zerstörte. FWS-Beamte untersuchten die Folgen des Brands im Rahmen einer umfassenderen Inspektion der Umgebung der Starbase genannten SpaceX-Anlage. Diese Untersuchungen fanden etwa 48 Stunden nach dem Flug statt, als das Unternehmen den Zugang zum nahe gelegenen Boca Chica Beach wiederhergestellt hatte.

Das Feuer scheint jedoch eine der kleineren Auswirkungen auf die Umwelt gewesen zu sein. »Beim Start wurden zahlreiche große Betonbrocken, Edelstahlbleche, Metallteile und andere Objekte tausende Meter weit weggeschleudert«, heißt es in dem Bericht. »Eine Wolke aus pulverisiertem Beton setzte sich in einer Entfernung von bis zu 6,5 Meilen nordwestlich des Startplatzes ab.«

»Es ist schockierend, nicht nur die Raketenteile überall liegen zu sehen, sondern auch den Beton der Startrampe«Justin LeClaire, Biologe

»Es ist schockierend, nicht nur die Raketenteile überall liegen zu sehen, sondern auch den Beton der Startrampe«, sagt Justin LeClaire, ein Biologe des Coastal Bend Bays and Estuaries Program, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für den Schutz der texanischen Küstenlinie rund um die Starbase einsetzt. Die scheinbar trostlosen Wattflächen rund um den Standort seien ein wichtiger Lebensraum für Küstenvögel, den selbst kleinere Störungen bedrohen könnten.

Wie auch das FWS-Personal untersuchte LeClaire das Gebiet zwei Tage nach dem Start. Er sei besonders verärgert über die zeitliche Verzögerung, mit der SpaceX externen Beobachtern Zutritt gewährt habe. Obwohl weder er noch das FWS-Personal während ihrer Besuche tote Tiere fanden, sagt LeClaire, hätten zwei volle Tage den Raubtieren viel Zeit gegeben, um sich mit den Kadavern davonzumachen. Das erschwere die Beurteilung des wahren Schadensausmaßes.

Nachbesprechung zwischen Trümmern

Jeder Raketenflug hinterlässt Trümmer, aber die überraschend große Menge, die bei der Zerstörung der Startrampe von Starship entstand, gibt Anlass zur Sorge. »Raketenabgase brennen sich einfach durch Beton und graben ein Loch. Das ist so, als würde man einen Gasbrenner auf Eiscreme richten«, sagt Philip Metzger. Im Fall von Starship sei die Wucht des Starts so groß gewesen, dass »jedes noch so kleine Stück [der Startrampe] komplett weggesprengt wurde – es war ein katastrophales Versagen«. Den Schaden zu beheben und gleichzeitig sicherzustellen, dass so etwas nicht noch einmal passiert, werde nicht so leicht sein, wie einfach eine neue Betonplatte zu gießen, sagt er.

Was Metzger besonders überrascht, sind die Berichte über Häuser und Geschäfte in der Nähe, die von sehr kleinen Trümmerteilchen sozusagen sandgestrahlt wurden. »Es ist mir ein Rätsel, wie dieser Sand fünf oder sechs Meilen weit fliegen konnte«, sagt er und fügt hinzu, dass er jetzt mit Anwohnern zusammenarbeite, um Schuttproben zu untersuchen. In der Hoffnung, besser zu verstehen, was passiert ist. »Sand sollte sich nicht so weit von einem Raketentriebwerk entfernen.«

In seinen Stellungnahmen nach dem Start spielte SpaceX-Gründer Elon Musk das Ausmaß der Zerstörung herunter, obwohl auch er sagte, dass er nicht erwartet hatte, dass die Rakete die Rampe vollständig zertrümmern würde. Für den nächsten Starship-Start, so Musk, werde SpaceX eine wassergekühlte Stahlplatte einsetzen, die die Startrampe – und damit auch die Rakete – vor Schäden schützen könnte. Diese Idee war bereits vor dem Flug im April erwogen worden, wurde allerdings verworfen, um Verzögerungen zu vermeiden.

»Ich glaube nicht, dass ich dieses Risiko eingegangen wäre«, sagt Metzger über die Verwendung einer einfachen, ungeschützten Startrampe für ein so leistungsstarkes Raketensystem. »Es hätte sehr übel ausgehen können. Die Rakete hätte auf der Startrampe zerstört werden können, wenn sie von hochgeschleudertem Auswurfmaterial getroffen worden wäre.«

Die Frage ist nun, wann SpaceX erneut versuchen wird, Starship in den Himmel zu schicken. Trotz der Turbulenzen nach dem Start sagte Musk, dass er glaube, ein neues Flugsystem könne innerhalb von sechs bis acht Wochen startbereit sein – seine Zeitvorstellungen sind jedoch bekanntermaßen optimistisch. SpaceX lehnte mehrere Anfragen von »Scientific American« ab, sich dazu zu äußern.

Doch zunächst hat die Federal Aviation Administration (FAA), die für die Sicherheit privater Raketen zuständig ist, ohnehin ein Flugverbot verhängt – eine gängige Praxis, wenn ein »Missgeschick« passiert.

»Die Untersuchung des Vorfalls soll die öffentliche Sicherheit erhöhen«, heißt es in einer Erklärung auf der Website der FAA. »Dabei wird die Ursache des Ereignisses ermittelt, und es werden Maßnahmen zur Abhilfe festgelegt, die der Betreiber ergreifen muss, damit ein solches Ereignis sich nicht wiederholt.« Bevor Starship wieder fliegen darf, muss die FAA sich vergewissern, dass »jedes System, jeder Prozess oder jedes Verfahren, das mit dem Zwischenfall in Zusammenhang steht, die öffentliche Sicherheit nicht noch einmal gefährdet«, heißt es weiter.

Alles in allem dauere der FAA-Prozess je nach Komplexität des Vorfalls in der Regel einige Wochen bis mehrere Monate, schreibt die Behörde in ihrer Erklärung. Wenn die FAA die wassergekühlte Stahlplatte des von SpaceX vorgeschlagenen experimentellen Schutzsystems für die Startrampe ablehnt, muss das Unternehmen beim Army Corps of Engineers die Genehmigung für den Bau eines herkömmlichen »Flammengrabens« zur Schadensbegrenzung einholen. Dieses Verfahren könne bis zu drei Jahre dauern, sagt Eric Roesch, ein Experte für Risikobewertung und Einhaltung von Umweltauflagen, der in Texas lebt und die Situation auf der Starbase verfolgt hat. »Es steht wirklich viel auf dem Spiel«, sagt Roesch.

Eine Geschichte des Widerstands

Auch die Justiz ist jetzt involviert. Am 1. Mai verklagten Kommunal- und Umweltgruppen die FAA auf Grundlage des Vorwurfs, die Behörde habe gegen das Gesetz verstoßen, als sie SpaceX erlaubte, den Betrieb am Standort Starbase in Südtexas zu erweitern, ohne eine vollständige Umweltprüfung vorzunehmen. Die FAA lehnte eine Stellungnahme zu der Klage für diesen Artikel ab.

Bereits kurz nachdem SpaceX angekündigt hatte, Starship von der Starbase aus starten zu wollen, die in der Nähe der Mündung des Rio Grande in den Golf von Mexiko liegt, haben Gegner des Plans lautstark protestiert. Solch mächtige Raketen, so sagen sie, könnten auf dem umliegenden Land ungeahnte Verwüstungen anrichten und die Zugvögel, Küstenvögel, Meeresschildkröten und Ozelots, die dort leben, bedrohen.

»Das ist Umweltrassismus, wie er im Lehrbuch steht«Rebekah Hinojosa, Mitglied im lokalen Sierra Club

Natürlich besteht auch für die menschlichen Bewohner der Region – meist relativ arme Menschen – eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Die Aktivitäten von SpaceX haben angesichts anderer geplanter Projekte in dem Gebiet, darunter zwei Flüssiggasterminals und eine Pipeline, besondere Bedenken hervorgerufen. »Wir wollen keine zwei explosiven Industrien in unserer Gemeinde«, sagt Rebekah Hinojosa, eine lokale Organisatorin des Sierra Club. »Das ist Umweltrassismus, wie er im Lehrbuch steht.«

Die Anwohner sind der Meinung, dass die FAA und die lokalen Behörden SpaceX stets entgegengekommen sind und ihre Beschwerden ignoriert haben. »Ich glaube nicht, dass die FAA ihre Sorgfaltspflicht erfüllt hat oder sich überhaupt die Mühe gemacht hat, uns zuzuhören«, sagt Michelle Serrano, Kulturstrategin bei Voces Unidas RGV, einer kommunalen Interessengruppe im Rio Grande Valley. »Sie haben einfach entschieden und es zugelassen, obwohl die Gemeinde sich mehrfach dagegen aufgelehnt hat.«

Die Gegner von SpaceX merken insbesondere an, dass SpaceX einer detaillierten Prüfung der Auswirkungen von Starbase ausgewichen ist. Ursprünglich stellte das Unternehmen die Anlage als Startplatz für die bewährte Falcon 9-Rakete vor, die in Jahr 2023 im Schnitt bereits mehr als einmal pro Woche ohne Probleme geflogen ist. Als SpaceX Starbase vergrößerte, um experimentelle Starts der größten jemals gebauten Rakete zu ermöglichen, entschied die FAA, dass für die Erweiterung nur eine kleinere und keine umfassendere Umweltverträglichkeitsprüfung (environmental impact statement, EIS) erforderlich sei – ein Schritt, der die Kontroverse auslöste, die nun zu der Klage führte.

»Keine derart riesige Startanlage wurde jemals ohne umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung gebaut, und die für die Falcon 9-Raketen erforderliche Prüfung war so anders als die heute nötige, dass es genau genommen einen völlig neuen Blick gebraucht hätte«, sagt Eric Roesch. »Die bestehende, kleinere Umweltverträglichkeitsprüfung ist kein guter Rahmen, um damit zu arbeiten. Eine vollständige EIS aber hätte wahrscheinlich mehr Schwächen aufgedeckt – und auch viel mehr Zeit in Anspruch genommen.«

Obwohl der erste Testflug von Starship nicht mit dem Worst-Case-Szenario endete – einer auf der Startrampe explodierten Rakete –, sind Wrackteile noch über die Grenze dessen hinausgeschleudert worden, was SpaceX in den FAA-Dokumenten für ein solches Szenario skizziert hatte. Diese Diskrepanz ist laut Roesch ein deutliches Indiz dafür, dass beim Zulassungsverfahren etwas schiefgelaufen ist. »Es stimmt nicht mit dem überein, was sie der Öffentlichkeit mitgeteilt haben«, sagt er über SpaceX. »Ich glaube nicht, dass sie ihre Aufgabe, das Gebiet zu schützen oder die tatsächlichen Risiken offenzulegen, erfüllt haben.«

Genau das macht die Schäden des Flugs zu einem gefundenen Fressen für Klagen wie etwa jene, die bereits gegen die FAA eingereicht wurde. »Ich denke, die jüngsten Ereignisse sind wirklich ein unheimliches Druckmittel«, sagt Eric Roesch. »Es war weithin sichtbar, und die Leute haben sehr emotional darauf reagiert.«

Startplatz-Gegner aus der unmittelbaren Umgebung sind jedoch sicher, dass es nicht eines solchen Desasters bedurft hätte, um die Entscheidungsträger davon zu überzeugen, die vollmundigen Ankündigungen von SpaceX nicht für bare Münze zu nehmen. »Es ist genau das eingetreten, was wir vorhergesagt haben, und das ist wirklich sehr frustrierend und auch beängstigend«, sagt Emma Guevara, ebenfalls Mitglied im Sierra Club. »Ich bin enttäuscht, dass es so viel Zerstörung brauchte, bevor wir endlich ernst genommen werden.«

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