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Buch und Gesellschaft – bitte wenden!

Der Biopionier Volker Krause, Leiter der Bohlsener Mühle, präsentiert seine Philosophie, und der preisgekrönte Journalist Gerhard Waldherr stellt sein Leben und Werk vor.

Die Biobranche ist bis heute von Familienunternehmen, Gründerpersönlichkeiten und deren Firmenphilosophie geprägt. Das Ehepaar Voelkel hat die heute größte Naturkostsafterei Deutschlands gegründet, Judith Moog die Ölmühle Moog zur ersten Bio-Ölmühle Europas ausgebaut. Und wenn Rapunzel-Gründer Joseph Wilhelm sich wie jüngst kontrovers zu Corona-Maßnahmen äußert, dann wirkt sich das auf das Unternehmen aus.

Vom Dorf in die Hauptstadt und zurück

Ein weiterer erfolgreicher Biopionier ist Volker Krause. Aufgewachsen im väterlichen Mühlenbetrieb in der Lüneburger Heide, entflieht er direkt nach der Schule der dörflichen Enge, studiert Volkswirtschaft und Politologie in Berlin – und kehrt schließlich nach Hause zurück, um den väterlichen Betrieb vor dem Konkurs zu bewahren. Dazu macht der Intellektuelle nebenher seinen Müllermeister.

Der Erfolg kommt mit einer konsequenten Umstellung auf ökologisches Wirtschaften und einer festen Verankerung in den Strukturen der Region. Heute, 40 Jahre später, zählt die Bohlsener Mühle zu den ökologischen Vorzeigebetrieben Deutschlands und setzt über 57 Millionen Euro im Jahr um. Krause ist politisch in diversen Verbänden für Nachhaltigkeit, regionale Wertschöpfung und ländliche Entwicklung aktiv, etwa dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).

Im ersten Teil des Buchs »1000 Mühlen braucht das Land« erzählt der preisgekrönte Journalist und Publizist Gerhard Waldherr die Geschichte von Volker Krause, von dessen Kindheit über seine Entwicklung als Firmengründer und das Schicksal des Unternehmens bis hin zu Krauses Gedanken zur Zukunft. Der Autor schafft es, in Momentaufnahmen aus den Jahrzehnten Stimmungen und Entwicklungen so einzufangen, dass sie je nach Alter des Lesers nostalgische Erinnerungen oder erstauntes »Echt jetzt, so war das?« auslösen. Die Kindheitserinnerungen an ländliche Idylle wirken ein wenig idealisiert, sind jedoch in jedem Fall gut zu lesen.

Auch die Einblicke in die Anfänge der Ökobewegung und die wechselhaften politischen Zeiten sind eindrucksvoll. Sie zeigen aufeinanderprallende Welten: Als Krause gerade mit seiner Wohngemeinschaft in der elterlichen Wohnung sitzt, rückt – mitten im Deutschen Herbst – die GSG9 mit Maschinenpistolen an. Langhaarige Jugendliche mit Besuch von außerhalb waren den Einheimischen wohl suspekt. Gut, dass alle die Nerven behalten haben.

Aus teils naiven Ideen der Anfangszeit wuchs ein modernes Unternehmen, das sich nach wie vor an den Überzeugungen der Gründer orientiert und wirtschaftlich erfolgreich ist. Waldherr stellt über die persönliche Biografie hinaus die Bio-Bewegung von damals bis heute dar und liefert nützliche Hintergrundinformationen. Im Kapitel »Die Quadratur der Chromosomen« widmet er sich der Evolutionsgeschichte des Weizens, und »Das Buch in Zahlen« liefert Infografiken: Entwicklung der Öko-Anbaufläche in Deutschland, Umsatz von Bio-Lebensmitteln und mehr. Der Leser lernt wichtige Persönlichkeiten der Szene kennen und deren Bemühungen. So kommt etwa Jan Plagge zu Wort, Präsident des größten deutschen Bio-Anbauverbandes Bioland und von IFOAM, der Internationalen Vereinigung ökologischer Landbaubewegungen.

Kein Zweifel, das Buch will den Leser in eine bestimmte Richtung erziehen, schon im biografischen Teil. Erziehung funktioniert durch positives Beispiel – genau darauf fokussiert das Werk. Volker Krause, seine Lebensgeschichte und seine Erfolge als Unternehmer passieren vor dem Auge des Lesers Revue, und am Ende steht der Ökopionier als durchaus überzeugendes Vorbild da. Wer ihm nicht unmittelbar nacheifern möchte, kann sich an der unterhaltsamen und interessanten Aufbereitung erfreuen. Es wird nie langweilig, wenn Waldherr bei seiner Rekonstruktion von 40 Jahren Mühlengeschichte Menschen und Anekdoten für sich sprechen lässt.

Doch dann kommt die »Wende« – zunächst im Wortsinn zu verstehen. Man muss das Buch umdrehen, Vorderseite wird Rückseite, grünes Layout wird zu bräunlichem. Welche zusätzliche Wende der Leser in seinem Kopf vollziehen soll, wird klar, wenn man das Buch beendet hat. Im zweiten Teil »9+1 Grundregeln für ein zukunftsfähiges Wirtschaften« stellt Volker Krause selbst – etwas dröger, aber keinesfalls lehrbuchhaft – seine Firmenphilosophie dar.

Seine Grundregeln beschreiben, welche Maßnahmen für ein zukunftsfähiges Wirtschaften notwendig sind. Das reicht von Unternehmerverantwortung über wahre Preise bis zu Biodiversität und dem Erhalt regionaler Strukturen. Nach mehr als 40 Jahren ökologischen Unternehmertums ist es für Volker Krause an der Zeit, sein Lebenswerk zu übergeben. Die Bohlsener Mühle wird in eine Stiftung übergehen – und Krauses Gedanken zu ökologischem Unternehmertum sind in ein Buch eingegangen.

Krause vertritt eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft und schafft es, sich als ehrliches Vorbild dafür zu präsentieren. Wenn ein erfolgreicher Unternehmer und politisch in vielen Gremien aktiver Mensch seine Gedanken formuliert, dann lohnt sich das Zuhören.

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