Zielscheibe Erde
Wer einen eigenen Asteroiden "besitzt" wie der Autor (die Nr. 243073 trägt den Namen Freistetter), ist natürlich besonders prädestiniert, über dieses Thema zu schreiben. Das neue Buch des promovierten Astronomen und bekannten Wissenschaftsautors ähnelt ein wenig seinem letzten mit dem Titel "Die Neuentdeckung des Himmels". Wieder präsentiert Freistetter mit flotter Schreibe und reichlich Hintergrundwissen ein gängiges astronomisches Thema. Doch diesmal geht es um kosmische Katastrophen aller Art. Wer gern durch populärwissenschaftliche Sendungen zappt, dürfte mit der Materie hinlänglich vertraut sein. Was ist den Erdbewohnern nicht schon alles auf den Kopf gefallen! Unlängst wurden die leidgeplagten Russen von einer kosmischen Bombe überrascht; Autokameras haben das Spektakel über Tscheljabinsk in allen Einzelheiten gefilmt. Etwas früher, vor 65 Millionen Jahren, hatten die Dinosaurier sehr schlechte Erfahrungen mit einem kolossalen Meteoriten gemacht. Der Rückblick in die Vergangenheit mahnt also zur Vorsicht.
Freistetter beschreibt die Bedrohung aus dem All in allen Einzelheiten. Es kann jederzeit wieder passieren: "Asteroid Now"! Man sollte aber nicht in Panik verfallen, und das Buch bietet auch keinen Anlass hierfür. Vielmehr diskutiert der Autor seriös, (a) wie groß die kosmische Gefahr tatsächlich ist und (b) was man mit wissenschaftlich-technischen Methoden dagegen machen kann. Zugegeben, (b) wird sehr teuer. Die wissenschaftlichen Grundlagen der Asteroidenabwehr sind bereits entwickelt, und Experten arbeiten auch schon an der technischen Realisierung, wenngleich in kleinem Maßstab. Es ist jedoch das gleiche Spiel wie beim Klimawandel: Die Entscheidungsträger werden vermutlich erst dann massiv investieren, wenn es bereits zu spät ist.
Nach dem Einschlag wird's ungemütlich
Der Autor stellt zunächst die bedrohlichsten Brocken vor. Es sind Erdbahnkreuzer mit Durchmessern bis zu 15 Kilometern. Fachleute kennen viele davon bereits und überwachen sie permanent, doch die Dunkelziffer ist vermutlich immer noch hoch. Wenn ein solches Trumm die Erde mit der üblichen Geschwindigkeit von 50.000 Kilometer pro Stunde trifft, dürfte es uns wie den Dinos ergehen: Wir sterben aus. Auf kilometerhohe Tsunamis, planetenweite Feuerstürme und Druckwellen folgt eine lange, extreme Kälteperiode, verursacht durch atmosphärischen Staub. Und das bedeutet – mal wieder – eine Neuziehung in der evolutionären Lotterie des Lebens.
Zum Glück gibt es Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik. Die besagt: Die dicksten Brocken erwischen uns am seltensten. Kleinere wie der russische, der in der Atmosphäre zerplatzte, treffen dafür öfter. Die Raumfahrt bietet theoretisch eine ganze Palette von Abwehrmethoden. Viele davon erweisen sich bei näherer Betrachtung aber als zweifelhaft. So bringt zum Beispiel der Beschuss eines heranrasenden Brockens mit Atomraketen viel weniger als oft angenommen. Atomwaffen entfalten ihre direkte Wirkung auf der Erde im Wesentlichen durch die Druckwelle, und die bleibt im All weit gehend aus. Selbst wenn der Brocken zertrümmert würde, wäre das nicht zwangsläufig gut, denn dann hätten wir unter Umständen statt eines großen Einschlags viele kleinere – und damit den unmittelbaren Schaden auf eine größere Fläche ausgeweitet.
In seinem Buch favorisiert Freistetter stattdessen den Ansatz, den Asteroiden mit kontrollierten Einschlägen frühzeitig zu einer Kursänderung zu zwingen. Die Betonung liegt auf "frühzeitig": Es muss viele Jahre im Voraus geschehen. Man muss also mit großem Aufwand und ungewissem Erfolg in eine Mission investieren, die sich erst weit in der Zukunft auswirkt. Eine spannende Sache, die der Autor ebenso spannend erzählt.
Der letzte macht das Licht aus
Freistetter belässt es aber nicht bei den Asteroiden. Er führt uns eine ganze Palette weiterer kosmischer Bedrohungen vor Augen. Dazu gehören chaotische Schwankungen der Erdbahn, die Eis- oder Warmzeiten verursachen, tödliche Strahlen aller Art und schließlich eine stetig heißer werdende Sonne, die die Erde in ferner Zukunft grillen wird. Die Lösung für derlei Probleme (falls es dann noch Menschen gibt, die nach einer Lösung suchen) klingt einfach, ist aber schwer umzusetzen: auswandern! Zum Mond, Mars, an die Grenzen des Sonnensystems oder gar zu den nächsten Sternen, wenn sie denn erdähnliche Planeten haben. Beim Erörtern dieser Möglichkeiten muss der Autor zwangsläufig Sciencefiction ins Spiel bringen. Er befasst sich mit Weltraumaufzügen, Mehrgenerationen-Raumschiffen, Dyson-Sphären, Wurmlöchern, Warp-Antrieben und Planetenverschiebungen. Freistetter bemüht sich redlich, auf dem Boden der Wissenschaft zu bleiben. Der Grat ist aber schmal.
Alles in allem ist "Asteroid Now" ein wissenschaftlich fundiertes und unterhaltsames Buch, das man ohne viel Vorwissen konsumieren kann. Sciencefiction-Fans dürften mit vielen Aspekten des Themas bereits vertraut sein. Fakt ist, es gibt eine ganze Reihe kosmischer Bedrohungen, die sowohl die nahe als auch die ferne Zukunft betreffen. Sollte tatsächlich einmal ein Asteroideneinschlag bevorstehen, bleibt den Menschen wohl kaum mehr, als die verbleibende Lebenszeit bis dahin zu genießen: Vermutlich könnten sich die Entscheidungsträger nicht rechtzeitig auf wirksame Maßnahmen einigen. Darin liegt vielleicht die größte Bedrohung!
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