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Krebs verstehen: Wie können Nebenwirkungen in der Krebstherapie abgemildert werden?

Übelkeit, Haarausfall, Immunschwäche – mit diesen Nebenwirkungen müssen Betroffene bei einer Krebstherapie leider rechnen. Doch so genannte supportive Maßnahmen können helfen, Beschwerden zu mindern oder sogar ganz einzudämmen, erklärt die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne.
Eine Frau ohne Haare steht vor einem Spiegel zieht sich eine Perücke vom Kopf.
Die meisten negativen Begleiterscheinungen einer Krebstherapie lassen sich mit Supportivmaßnahmen verringern. Vor möglichem Haarausfall können Ärzte die Betroffene jedoch bislang nicht bewahren (Symbolfoto).

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.

Wenn ich Patientinnen und Patienten über eine Krebstherapie aufkläre, sind sie häufig erschlagen von all den Informationen über mögliche Komplikationen. Leider können viele Medikamente, die gegen Krebs eingesetzt werden, vor allem Chemotherapeutika, aber auch zielgerichtete Therapien oder Immuntherapien, starke Nebenwirkungen hervorrufen. Um Betroffenen gleich einige Sorgen zu nehmen, schildere ich schon beim ersten Aufklärungsgespräch, mit welchen Maßnahmen ich Nebenwirkungen minimieren möchte. Hierbei handelt es sich um so genannte supportive, also unterstützende Maßnahmen, die negative Effekte verhindern, behandeln oder zumindest verringern oder beherrschbar machen sollen.

Übelkeit und Erbrechen

Sehr viele Menschen denken bei dem Wort Chemotherapie zuerst an Übelkeit und Erbrechen als typische Begleiterscheinungen der Behandlung. Tatsächlich ist es so, dass Chemotherapeutika vor allem Zellen im Körper angreifen, die sich sehr schnell vermehren. Dazu gehören Schleimhäute, die vom Mund über den Magen und Darm im gesamten Verdauungstrakt vorkommen. Durch die Schädigung der Schleimhäute kommen unerwünschte Begleiterscheinungen wie Übelkeit und Erbrechen, aber auch Appetitlosigkeit, Durchfall, Verstopfung oder Mundschleimhautentzündungen zu Stande.

Zahlreiche Medikamente, die in der Krebstherapie eingesetzt werden, gibt es schon seit Jahrzehnten oder Jahren. Neue Medikamente werden vor der Zulassung in Studien getestet. Das bedeutet: Das Nebenwirkungsprofil der einzelnen Substanzen ist sehr gut bekannt. Onkologinnen und Onkologen wissen also ganz genau, welche Medikamente wie stark zu Übelkeit führen und haben viel Erfahrung im Umgang mit Arzneimitteln, die dagegen helfen. Patientinnen und Patienten nehmen deshalb beispielsweise vor Beginn einer Chemotherapieinfusion Tabletten ein, die aufkeimende Übelkeit verhindern sollen. Manche Medikamente nehmen sie noch über mehrere Tage nach der Chemotherapie ein, teils nur vorsorglich, teils, weil ihnen trotz der Prophylaxe übel wird. Die eingesetzten Arzneimittel haben unterschiedliche Wirkmechanismen und können sich gut ergänzen. Sollte nach der ersten Chemotherapie Übelkeit auftreten, können bei der zweiten Gabe mehrere Medikamente miteinander kombiniert werden. Eines davon ist übrigens Kortison, das die meisten Menschen als Wirkstoff bei Hautausschlägen, Allergien oder Rheuma kennen.

Meine Patientinnen und Patienten leiden nur selten an starker Übelkeit während der Therapie, die meisten gar nicht. Auch andere Nebenwirkungen wie Durchfall oder Verstopfung lassen sich oft gut medikamentös beherrschen. Mit der richtigen Mundpflege und schmerzlindernden Medikamenten können auch Mundschleimhautentzündungen gut behandelt werden.

Wie die Krebstherapie das Blutbild verändert

Bei der Krebstherapie beeinträchtigen die Medikamente die Bildung unserer Blutzellen. Deshalb ist eine der häufigsten Nebenwirkungen, dass sich das Blutbild von Krebserkrankten verändert. So reduziert sich etwa die Anzahl der roten und weißen Blutkörperchen sowie der Blutplättchen. Rote Blutkörperchen verteilen Sauerstoff im gesamten Körper, weiße Blutkörperchen bilden einen wichtigen Teil des Immunsystems und Blutplättchen spielen bei der Blutgerinnung eine große Rolle. Dementsprechend kann ein Mangel dieser drei Blutbestandteile dazu führen, dass Betroffene sich schwach fühlen, häufiger an Infekten erkranken oder leichter bluten.

Werden die weißen Blutkörperchen, also die Abwehrzellen des Körpers, durch die Therapie besonders stark erniedrigt, ist das Risiko für schwer verlaufende Infekte hoch. Deshalb werden Patienten darüber aufgeklärt, sich umgehend in ärztliche Behandlung zu begeben, wenn sie Infektzeichen wie Fieber haben. Bei manchen Chemotherapien, vor allem solchen, die bei bestimmten Blutkrebserkrankungen eingesetzt werden, ist zu erwarten, dass die weißen Blutkörperchen unter Therapie besonders stark abfallen. In diesen Fällen können die Patienten prophylaktisch ein Medikament erhalten, das die Bildung von weißen Blutkörperchen anregt. So können schwere Komplikationen wie Blutvergiftungen verringert werden. Bei dem Medikament handelt es sich um einen Wachstumsfaktor für eine bestimmte Art von weißen Blutkörperchen (G-CSF), der unter die Haut gespritzt wird. Da daraufhin vermehrt weiße Blutkörperchen im Knochenmark gebildet werden, können Betroffene allerdings unter anderem unter Knochenschmerzen leiden.

Werden rote Blutkörperchen oder Blutplättchen durch eine Chemotherapie sehr stark verringert, können sie mit Bluttransfusionen ersetzt werden. So wird sichergestellt, dass der Körper mit ausreichend Sauerstoff versorgt wird und es nicht zu spontanen Blutungen im Körper kommt. Es gibt Chemotherapien, bei denen zu erwarten ist, dass Patienten Blutprodukte benötigen werden, das gilt vor allem für bestimmte Therapien von Blut- und Lymphdrüsenkrebs. Bei vielen Krebstherapien werden keine Blutkonserven benötigt. Darüber, wie groß das Risiko ist, dass die Blutzellen sehr stark abfallen, klären Ärzte vor der Behandlung auf. Regelmäßige Blutuntersuchungen während der Chemotherapie helfen den Behandlern dabei, die Nebenwirkungen auf das blutbildende System einzuschätzen. Manchmal kann es notwendig sein, eine Therapiegabe zu verschieben oder auszusetzen, damit das Blut sich länger erholen kann.

Nervenschädigungen durch die Krebstherapie

Eine weitere Nebenwirkung, die bei bestimmten Krebstherapien auftreten kann, ist eine so genannte Polyneuropathie. Dabei handelt es sich um eine Nervenschädigung, die vor allem die Empfindungen in den Händen und Füßen beeinträchtigen kann. Dann fühlen sich etwa die Fingerspitzen oder Zehen pelzig an oder Betroffene empfinden ein Kribbeln oder Stechen. Theoretisch können alle möglichen Nerven im Körper betroffen sein, auch solche, die Bewegungen steuern. Leider gibt es keine Medikamente, die nachweislich verhindern können, dass es unter einer Krebstherapie zu einer Polyneuropathie kommt. Ebenfalls nicht wirksam sind B-Vitamine, die einige Onkologen oder Hausärzte trotz der mangelnden Beweislage verschreiben.

Die wichtigste Maßnahme zum Schutz vor einer Polyneuropathie ist, sie früh zu erkennen und eine weitere Schädigung zu verhindern. Behandler fragen deshalb vor jeder erneuten Chemotherapiegabe, ob neuropathische Beschwerden bestehen. Falls ja, werden die ursächlichen Medikamente pausiert, bis die Missempfindungen verschwinden. Alternativ kann die Dosis verringert werden. In schweren Fällen muss die Therapie abgebrochen und durch eine andere ersetzt werden. Hier gilt es, die Krebserkrankung bestmöglich zu behandeln, ohne die Lebensqualität der Betroffenen zu beeinträchtigen. Denn in schweren Fällen können Polyneuropathien auch nach Ende der Therapie bestehen bleiben oder sich sogar weiter verschlechtern. Ist dies der Fall, können Behandler Medikamente verschreiben, die die Beschwerden lindern können. Vor allem Missempfindungen wie Kribbeln oder Stechen lassen sich medikamentös meist gut in den Griff bekommen.

Ob eine Kühlung der Hände und Füße während der Chemotherapie eine Polyneuropathie verhindern oder verringern kann, wird derzeit erforscht. Offizielle medizinische Empfehlungen dazu gibt es noch nicht. Die Idee dahinter ist, dass sich Blutgefäße bei Kälte zusammenziehen und dann weniger Wirkstoffe der verabreichten Infusion an die gekühlten Stellen gelangen. Hierbei besteht jedoch die potenzielle Gefahr, dass sich durch die Kühlung Krebs an Stellen bildet, an die die Chemotherapie nicht gelangt. Ein weiteres Gegenargument ist, dass es auch Therapien gibt, durch die Betroffene besonders kälteempfindlich sind. Solche Beschwerden könnten sich durch das Abkühlen der Extremitäten verschlechtern.

Kaum Hilfe gegen Haarausfall

Während sich viele Nebenwirkungen von Krebstherapien gut mit supportiven Maßnahmen beherrschen lassen, kann man gegen eine mögliche Begleiterscheinung der Krebstherapie meist nichts ausrichten: den Verlust der Haare. Aktuell wird wissenschaftlich untersucht, ob eine Kühlung nicht nur vor Polyneuropathien, sondern auch vor Haarverlust schützen könnte, etwa mit Hilfe von Kühlkappen. Erste Daten sind durchaus positiv zu bewerten, jedoch gilt es auch hier, Nutzen und Risiken abzuwägen. Auf Wunsch können sich Patientinnen und Patienten eine Perücke verschreiben lassen, deren Kosten von der Krankenkasse übernommen werden. Nach der Chemotherapie wachsen die Haare nach, doch der Haarwuchs kann sich verändern.

Nebenwirkungen von Krebstherapien beeinflussen die Lebensqualität der Patienten maßgeblich. Einige lassen sich durch supportive Maßnahmen gut beherrschen, für andere stehen leider nur wenige Therapieoptionen zur Verfügung. Ich bin jedoch optimistisch, dass sich bestimmte Nebenwirkungen wie Polyneuropathien durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse in der Zukunft noch besser behandeln lassen.

Die wichtigste supportive Maßnahme ist in meinen Augen das Gespräch zwischen dem Patienten und dem Behandler – denn nur im offenen Austausch können Nebenwirkungen erkannt und bestmöglich verringert werden.

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