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Alter: Haarausfall mit Eigenblut stoppen?

Wie kann man seine Haarpracht nach stärkerem Haarausfall zurückgewinnen? Eine neue Methode setzt auf Eigenblut, das das Haarwachstum anregen soll. Die Wirkung ist allerdings eher zweifelhaft.
Mann mit Haarausfall

Das allmähliche Schwinden der eigenen Haarpracht im Zuge von erblich bedingtem Haarausfall bedeutet für viele Betroffene großen Stress und kann sich erheblich auf die Lebensqualität auswirken. Sogar Depressionen sind bei Menschen mit Haarausfall relativ häufig anzutreffen. Kein Wunder, gilt doch volles Haar in unserer Gesellschaft als Zeichen von Jugendlichkeit und Schönheit. Etwa 80 Prozent der Männer weltweit müssen den Kahlschlag auf dem Kopf durch die androgenetische Alopezie erleben. Auch bei etwa 50 Prozent der Frauen kommt es zum erblich bedingten Haarausfall, meist nach der Menopause.

Der Übeltäter bei dieser häufigsten Form des Haarausfalls ist bei Frauen wie Männern im Grunde der gleiche: das männliche Geschlechtshormon Dihydrotestosteron (DHT). DHT wird im Körper von Männern und Frauen mittels des Enzyms 5-alpha-Reduktase aus Testosteron gebildet. Bei Menschen mit androgenetischer Alopezie reagieren die Haarwurzeln anlagebedingt überempfindlich auf DHT. Die Überempfindlichkeit führt dazu, dass sich die Wachstumsphase der Haare verkürzt. Die Haare leben nicht mehr so lange, sie fallen rascher aus und werden immer dünner, bis nur noch ein winzig kleines Flaumhaar die Haarwurzel besetzt.

Seit einiger Zeit machen Dermatologen den Patienten neue Hoffnung, indem sie eine Therapie mit Eigenblut anbieten. Der Hautarzt entnimmt dem Patienten zu diesem Zweck zunächst mit einer Spritze den roten Lebenssaft aus dem Arm. Anschließend zentrifugiert er das Blut. Dadurch trennt sich das Plasma von den roten Blutkörperchen. Im Plasma kommt es zu einer erhöhten Konzentration von Blutplättchen, es entsteht so genanntes plättchenreiches Plasma (PRP). Blutplättchen sind normalerweise an der Gerinnung beteiligt. In den Blutplättchen stecken aber auch rund 20 unterschiedliche Wachstumsfaktoren. Diese Faktoren sollen den absterbenden Haarfollikeln neues Leben einhauchen. Der Hautarzt spritzt dem Patienten das plättchenreiche Plasma zwei bis drei Millimeter unter die Kopfhaut. Eine Betäubung der Kopfhaut ist durch das rasche, größtenteils schmerzlose und nicht tiefe Einstechen unnötig.

Studien weisen Schwächen auf

Doch wird die Methode den Versprechungen gerecht? In einer 2019 erschienenen systematischen Übersichtsarbeit nahmen Forscher um den Dermatologen Weixin Fan von der chinesischen Universität in Nanjing elf Studien zum Thema unter die Lupe. Ihr Fazit: Acht von elf Studien deuten darauf hin, dass das plättchenreiche Plasma bei der Behandlung von erblich bedingtem Haarausfall wirksam ist: Es reduziert wahrscheinlich den Haarausfall, erhöht den Haardurchmesser und die Haardichte. Allerdings geben die Forscher auch zu bedenken, dass die Mehrzahl der Studien methodische Schwächen aufwies – sie waren etwa nicht placebokontrolliert, und oftmals wurde nur eine geringe Zahl von Patienten untersucht.

Eine weitere Metaanalyse von 2018 von Forschern um Salvatore Giordano von der finnischen Universität Turku umfasste sieben Studien mit insgesamt 194 Patienten. Eine lokale Injektion von PRP führte im Schnitt zu einer Zunahme der Haarzahl um 14,38 pro Quadratzentimeter gegenüber unbehandelten Kontrollen. Die Haardicke nahm ebenfalls zu. Die Haarzahl der mit PRP behandelten Patienten stieg zwar prozentual um 18,79 Prozent, und der Haardurchmesser nahm um 32,63 Prozent zu, diese Ergebnisse waren jedoch nicht statistisch signifikant.

»Einige wenige Untersuchungen haben einen Effekt belegt«Paul Gressenberger

»Zur Behandlung von erblich bedingtem Haarausfall mit plättreichem Plasma wurden in den letzten Jahren einige Studien durchgeführt«, sagt der Mediziner Paul Gressenberger von der Medizinischen Universität Graz. »Die Ergebnisse fielen unterschiedlich, aber eher positiv aus. Allerdings waren die Probandenzahlen relativ klein, und der Aufbau der Studien ist durchaus unterschiedlich, so dass man diese Studien nicht eins zu eins miteinander vergleichen kann.« Paul Gressenberger fiel eines besonders ins Auge: Mit den positivsten Ergebnissen warteten ausgerechnet die Studien auf, die methodisch schwächer waren. In ihnen hatte man die Wirkung von plättchenreichem Plasma nicht mit einer Kontrollgruppe verglichen, die lediglich eine Placebobehandlung bekommt. Zudem ist die Frage, ob die Ergebnisse nicht nur statistisch signifikant sind, sondern auch einen echten klinischen beziehungsweise kosmetischen Effekt zeigen. »Einige wenige Untersuchungen haben einen solchen Effekt belegt«, sagt Gressenberger. Unklar sei jedoch, ob die Probanden in diesen Studien nicht zusätzlich mit anderen Medikamenten behandelt wurden.

Tatsächlich gibt es nämlich längst zugelassene Medikamente für androgenetischen Haarausfall: zum einen Minoxidil 5 Prozent, das man zweimal täglich als Schaum oder Lösung auf die Kopfhaut aufträgt. Zum anderen Finasterid 1mg, das oral eingenommen wird und im Gegensatz zu Minoxidil verschreibungspflichtig ist. »Minoxidil und Finasterid sind als effektive Therapien zur Behandlung der androgenetischen Alopezie in klinischen Untersuchungen sehr gut belegt«, sagt Ulrike Blume-Peytavi, stellvertretende Direktorin der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie an der Berliner Charité.« Zu dem gleichen Ergebnis kommt die aktuelle S3-Leitlinie für die Behandlung von erblich bedingtem Haarausfall, die das European Dermatology Forum herausgegeben hat und an der Blume-Peytavi mitgewirkt hat.

Wirkstoff könnte Depressionen auslösen

Das klingt gut. Doch Minoxidil und Finasterid helfen längst nicht allen. Außerdem reicht der erzielte Effekt nicht jedem Betroffenen. »Viele Patienten wünschen sich noch eine Verstärkung der Wirkung«, sagt Ulrike Blume-Peytavi. »Denn auch mit den etablierten Therapien werden die Haare nicht wieder wie in der Pubertät oder wie im 20. oder 30. Lebensjahr.«

Gerade im Fall von Finasterid sind Betroffene zudem zunehmend verunsichert, ist der Wirkstoff doch über die Jahre mehr und mehr in die Kritik geraten. Zumindest in Einzelfällen scheint der Wirkstoff nämlich zu Depressionen und Störungen der Sexualfunktion zu führen, die teilweise auch noch nach Absetzen des Medikaments anhalten. Fachleute sprechen vom »Post-Finasterid-Syndrom«. »Es gibt einige Patienten, die das Post-Finasterid-Syndrom angeben«, sagt Blume-Peytavi. »Und diese Beschwerden will ich auch gar nicht bestreiten.« Allerdings gebe es zu dem Syndrom immer noch keine guten Studien. Im Beipackzettel steht mittlerweile der Hinweis, dass Finasterid zu Depressionen führen kann.

Gerade vor dem Hintergrund solcher Nebenwirkungen scheint die Behandlung mit plättchenreichem Plasma viel versprechend. Da Eigenblut zum Einsatz kommt, sind Infektionen und Reaktionen des Immunsystems unwahrscheinlich. Häufige, aber voll reversible Nebenwirkungen dieser Behandlung sind Hämatome, Rötungen und Schwellungen, nachdem das Plasma direkt in die Kopfhaut injiziert wurde. Systemische Nebenwirkungen, solche also, die den ganzen Organismus betreffen, sind nicht bekannt.

Eigenblut ist nicht die alleinige Lösung

Doch selbst wenn sich PRP zukünftig in gut gemachten Studien als wirksam erweisen sollte, kommt die Behandlung laut Ulrike Blume-Peytavi nur als Ergänzung zu etablierten Therapien in Frage. Sie müsse auch kontinuierlich wiederholt werden, denn erblich bedingter Haarausfall ist eine fortschreitende Erkrankung. »Den Patienten muss man darauf hinweisen, dass es sich bei der PRP-Behandlung um eine begleitende unterstützende Behandlung handelt, deren Effekt man erst mal nach drei bis sechs Sitzungen bewerten muss.« Paul Gressenberger geht davon aus, dass im Fall eines Wirksamkeitsnachweises die PRP-Behandlung alle vier bis sechs Wochen wiederholt werden müsste.

»Da ein Dermatologe mit der Untersuchung und Beratung bei androgenetischem Haarausfall allein kaum etwas verdient, wollen manche niedergelassene Kollegen wenigstens an der Behandlung etwas verdienen«Hans Wolff

Das Thema der kontinuierlichen Behandlung ist angesichts der durchaus happigen Kosten nicht ganz unwichtig. Im Internet kursieren Preise von rund 400 Euro pro Injektion. Der Dermatologe Hans Wolff vom Uniklinikum der LMU München sieht als Motivation hinter PRP vor allem Geschäftemacherei. »Da ein Dermatologe mit der Untersuchung und Beratung bei androgenetischem Haarausfall allein kaum etwas verdient, wollen manche niedergelassene Kollegen wenigstens an der Behandlung etwas verdienen.« Einen wissenschaftlich-rationalen Grund zur Einführung von PRP sieht er angesichts der etablierten Methoden wie Minoxidil oder Finasterid nicht. Ob plättchenreiches Plasma wirklich gegen Haarausfall helfen wird, ist derzeit alles andere als klar.

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