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Covid-19: Auf der Suche nach den Immun-Genen

Ein internationales Forscherteam will die DNA von Menschen untersuchen, die gegen das Coronavirus resistent sind. Ihre Gene könnten dabei helfen, neue Medikamente zu entwickeln.
Ein Paar geht während der Pandemie mit Maske spazieren.

Stellen Sie sich vor, Sie wären mit einer natürlichen Resistenz gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geboren. Nie müssten Sie sich Sorgen machen, sich mit Covid-19 anzustecken oder das Virus zu verbreiten. Und in jedem Fall wären Sie dank Ihrer Superkraft heiß begehrt – als Versuchsperson der medizinischen Forschung.

Nach genau solchen Menschen sucht nun ein internationales Forschungsteam. Im Oktober 2021 berichteten die Wissenschaftler im Fachmagazin »Nature Immunology« von ihrer weltweiten Suchaktion nach Personen, die genetisch bedingt resistent gegen eine Infektion mit dem Coronavirus sind. Das Wissen um die verantwortlichen Gene könnte die Entwicklung von Medikamenten ermöglichen, die das Coronavirus blockieren, hoffen die Autoren. Solche Wirkstoffe würden nicht nur vor Covid-19 schützen, sondern auch verhindern, dass sich die Erkrankung weiter ausbreitet.

Unter Expertinnen und Experten herrscht Uneinigkeit darüber, ob dieser Ansatz funktionieren kann. »Das ist eine großartige Idee«, sagt Mary Carrington, Immungenetikerin am Frederick National Laboratory for Cancer Research in Bethesda, Maryland, »wirklich eine kluge Sache.« Evangelos Andreakos, Immunologe an der Biomedizinischen Forschungsstiftung der Akademie von Athen und Koautor des »Nature«-Artikels, konstatiert: »Selbst wenn wir nur einen Menschen finden, wäre das ein großes Ding.«

Die Kinderimmunologin und Ärztin an der Katholischen Universität Löwen in Belgien Isabelle Meyts ist da schon skeptischer. Wenn eine genetische Resistenz gegen Sars-CoV-2 überhaupt existiere, dann bloß »in einer Hand voll Menschen«, sagt sie. Dabei ist sie selbst Mitglied des Konsortiums, das hinter dem Projekt steht. Und auch Sunil Ahuja, Spezialist für Infektionskrankheiten am University of Texas Health Science Center in San Antonio, sieht die zentrale Herausforderung darin, »wie man solche Menschen findet«.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Ungleiche Paare

In einem ersten Schritt soll die Suche auf Personen eingegrenzt werden, die einer kranken Person über einen längeren Zeitraum ungeschützt ausgesetzt waren, ohne dabei positiv getestet worden zu sein oder eine Immunreaktion gegen das Virus entwickelt zu haben. Besonderes Interesse gilt dabei denen, die ihr Zuhause und ihr Bett mit einer infizierten Person geteilt haben — diese Paare werden als »diskordante Paare« bezeichnet.

500 potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten, die diese Kriterien erfüllen, hat das Forscherteam bereits vor Veröffentlichung des Artikels rekrutieren können. Seither haben sich weitere 600 Personen als Probanden angeboten, darunter auch einige aus Russland und Indien. Die starke Resonanz überrascht Jean-Laurent Casanova, Koautor des »Nature«-Artikels und Genetiker an der Rockefeller University in New York City: »Nicht eine Sekunde hätte ich damit gerechnet, dass die Menschen sich selbst melden würden, die dem Virus ausgesetzt waren und sich offenbar nicht infiziert haben.«

Diskordante Paare sind zwar keine Seltenheit. Selten sind aber solche, die auch regelmäßig getestet wurden

Das Ziel ist, mehr als 1000 Probanden zu finden. Laut Andreakos hat das Team bereits mit der Analyse der ersten Daten begonnen. Dabei stehen die Forscher vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Schließlich ist es ausgesprochen schwierig, nachzuweisen, dass eine Person, die nie krank war, hohen Mengen des Virus ausgesetzt war. Dafür müssen die Forscher und Forscherinnen zunächst nachweisen, dass der kranke Partner hohe Dosen des lebenden Virus ausgeschieden hat, während beide auf engem Raum Zeit miteinander verbracht haben.

Diskordante Paare sind zwar keine Seltenheit. Selten sind aber solche, die auch regelmäßig getestet wurden. Zudem verschleiere die zunehmende Zahl der Impfungen die seltenen Fälle genetischer Resistenz, wodurch sich der Kandidaten-Pool zusätzlich verkleinere, sagt der Spezialist für Infektionskrankheiten Ahuja.

Haben sie passende Kandidaten gefunden, vergleichen die Wissenschaftler das Genom der nicht Erkrankten mit dem von Infizierten, um die Gene zu identifizieren, die mit einer Resistenz in Verbindung stehen. Welche Funktion diese DNA-Abschnitte haben, müssen sie dann aber noch in Zell- und Tiermodellen untersuchen. Nur so können die Forscher bestätigen, ob die Gene tatsächlich gegen das Coronavirus resistent machen, und den zu Grunde liegenden Wirkmechanismus ermitteln.

Dass das prinzipiell funktionieren kann, hat das Team von Jean-Laurent Casanova vorgemacht: In einer früheren Arbeit konnte die Gruppe ein paar seltene Genmutationen nachweisen, die Menschen anfälliger für einen schweren Verlauf der Coronavirus-Erkrankung machen. Nun verlagern die New Yorker Forscher ihre Aufmerksamkeit auf die Resistenz gegen das Virus.

Ein fehlerhafter Rezeptor könnte resistent machen

Andere Gruppen haben in so genannten genomweiten Assoziationsstudien, kurz GWAS, die DNA zehntausender Menschen auf Veränderungen einzelner Bausteine durchforstet. In der Regel haben solche minimalen Veränderungen nur schwache biologische Auswirkungen. Dennoch konnten mit Hilfe der GWAS einige potenzielle Genkandidaten herausgefiltert werden, die mit einer verringerten Anfälligkeit für Infektionen in Zusammenhang stehen. Eine der Mutationen befindet sich auf dem Gen, das für die Blutgruppe null codiert. Jedoch sei die Schutzwirkung, die diese Mutation auslöst, schwach und ihr Wirkmechanismus noch ungeklärt, sagt Immungenetikerin Carrington.

Das hält die Initiatoren des in »Nature Immunology« vorgestellten Projekts freilich nicht davon ab, darüber zu spekulieren, wie Resistenzen gegen Sars-Cov-2 gebildet werden könnten. Die naheliegendste Hypothese ist, dass manche Menschen keinen funktionstüchtigen ACE-2-Rezeptor in sich tragen. Das Oberflächenmolekül dient dem Coronavirus gleichsam als Einfallstor in die Zellen des Körpers. Eine GWAS-Studie, die noch nicht von Experten begutachtet wurde, berichtet von einem Zusammenhang zwischen einem verringerten Infektionsrisiko und einer seltenen Mutation, die wahrscheinlich die Expression des ACE-2-Gens mindert.

Ein vergleichbarer Mechanismus wurde bereits beim HI-Virus, dem Auslöser von Aids, beobachtet. Ahuja und Carrington selbst haben mit ihrer Arbeit Anfang der 1990er Jahre zur Entdeckung einer Mutation beigetragen, die das Eindringen von HIV in Zellen verhindert. Die Genvariante deaktiviert den CCR-5-Rezeptor auf der Oberfläche weißer Blutkörperchen, über den das HI-Virus in die Zellen eindringt. »Diese Erkenntnis hat sich als sehr nützlich erwiesen«, sagt Carrington. Die Arbeit habe den Weg zu einer Klasse HIV blockierender Medikamente geebnet. Zwei Menschen konnten offenbar vollständig von HIV geheilt werden, nachdem sie Knochenmarktransplantate von Spendern mit zwei Kopien der resistenzbildenden Gene erhalten hatten.

Eine Resistenz gegen Sars-CoV-2 könnte allerdings auch an einer sehr starken Immunreaktionen der Zellen liegen, die das Innere der Nase auskleiden. Auch mutierte Gene, die das Virus verstärkt an der Vermehrung und Selbstverpackung hindern oder die virale RNA innerhalb der Zelle abbauen, könnten ihre Träger resistent machen. Trotz aller Herausforderungen ist Andreakos optimistisch: »Wir sind zuversichtlich, dass wir Menschen finden werden, die von Natur aus resistent sind.«

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