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Covid-19: Offene Schulen machen es dem Virus leichter

Lange war unklar, ob die Pandemie bei geöffneten Schulen und Kitas kontrollierbar ist. Die ersten Wochen nach den Sommerferien zeigen: Es kann funktionieren, birgt aber Risiken.
Mädchen und Junge mit Maske unterhalten sich vor dem Eingang der Schule

Kaum jemand hält es noch für sinnvoll, Schulen und Kindertagesstätten in den kommenden Monaten wieder zu schließen. Lange genug hatten Eltern eine Doppelaufgabe zu schultern: ihre Kinder zu betreuen und gleichzeitig zu arbeiten. Und zu groß wäre wahrscheinlich der Schaden für die Kinder selbst. Aus diesem Grund gehen Kinder in fast allen deutschen Bundesländern wieder zur Schule und in die Kita; Baden-Württemberg hat noch bis Mitte September Sommerferien. Doch auch wenn die Forschung zu diesem Thema bereits einiges an Wissen zu Tage gefördert hat, war eine Frage lange unklar: Welchen Effekt wird das auf den Ausbruch in Deutschland haben? Jetzt, nachdem die Schulen mancherorts schon seit einigen Wochen wieder geöffnet haben, zeichnen sich erste Antworten ab.

Kinder zählen in dieser Pandemie nicht zu denjenigen, die besonders geschützt werden müssen. Covid-19 ist eine Krankheit der Älteren. Häufig verläuft die Infektion bei Kindern asymptomatisch: Sie tragen das Virus in sich, es greift auch ihre Körperzellen an, macht sich allerdings weder durch Husten oder Fieber noch sonst irgendein Krankheitssymptom bemerkbar. Wenn doch, dann sind die Symptome eher mild und ähneln eher einer leichten Erkältung. Schwere Krankheitsverläufe sind selten. Noch seltener Todesfälle.

Von den knapp 245 000 Corona-Infizierten, die dem Robert Koch-Institut bis Anfang September bekannt waren, waren 3,5 Prozent jünger als zehn Jahre und 6,7 Prozent zwischen 10 und 19 Jahre alt. In absoluten Zahlen: Laut Lagebericht vom 2. September hatten sich offiziell rund 25 000 Kinder und Jugendliche infiziert; drei sind gestorben.

Das legt den Schluss nahe, dass Schul- und Kitaöffnungen die Gesundheit von Kindern nicht so sehr gefährden würden, wie es etwa während einer Influenza-Pandemie der Fall gewesen wäre – besonders Kleinkinder erkranken vergleichsweise häufig an einer Grippe.

Das entscheidende Argument, Schulen geschlossen zu halten, ist also ein anderes: Kinder könnten das Virus unbemerkt in die Familien und so an stärker gefährdete Menschen weitertragen. Das Virus könnte im Klassenraum und in der Spielecke schneller von Kind zu Kind, zu Lehrpersonal, dann zu Schwester und Bruder, Mutter und Vater und damit auf mögliche Risikogruppen überspringen. Kinder sind die Verbindung zwischen Familien, die sonst wahrscheinlich nie Kontakt zueinander hätten. Es erscheint also plausibel, dass sie ein wichtiger Nährboden für die Pandemie sind. Doch daran gibt es Zweifel.

Sind Schulen Corona-Hotspots?

Denn bisher waren Kinder nicht die entscheidenden Treiber der Pandemie. Ausbrüche, in denen sich binnen kürzester Zeit viele Menschen angesteckt haben, gab es auf Hochzeitsfeiern, Kreuzfahrtschiffen, in Gottesdiensten, Fleischfabriken oder Klubpartys. Schulen fielen in dieser Hinsicht bisher selten auf. Nicht Mitte März, bevor in vielen Ländern die Schulen und Kitas schlossen. Und auch nicht danach, als mancherorts wieder die Klassenräume eingeschränkt öffneten.

Was könnte der Grund dafür sein? Möglicherweise, dass das Virus durch den umfassenden Lockdown kaum Gelegenheit hatte zu zeigen, was es in Schulen anrichten kann.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Es wäre aber auch denkbar, dass Kinder das Virus einfach nicht so leicht weitertragen wie Erwachsene. Etwa, weil ihre kindlichen Zellen das Virus nicht so leicht aufnehmen. Oder weil ihr Immunsystem es aus irgendeinem Grund besser und schneller bekämpfen kann. Ein Kinderkörper reagiert auf viele Dinge anders als der eines Erwachsenen. Beides könnte dafür sorgen, dass Schulöffnungen eher unbedenklich sind. Doch diese Vermutungen lassen sich derzeit nicht untermauern.

In mehreren Studien haben Forscherteams das versucht: unter anderem in einem viel diskutierten und bisher noch nicht final begutachteten Paper, an dem der Charité-Virologe Christian Drosten beteiligt war, sowie in einer Untersuchung von einer Gruppe um die Virologin Isabella Eckerle von der Universität Genf, erschienen im »Journal Clinical Infectious Diseases«. In beiden Untersuchungen fand man keinen nennenswerten Unterschied zwischen der Virusmenge, die Kinder und Erwachsene ausscheiden. Hätten die Teams an dieser Stelle etwas gefunden, wäre das ein wichtiger Hinweis dafür gewesen, dass Kinder weniger infektiös sind – Schul- und Kitaöffnungen also in dieser Pandemie ungefährlicher wären als befürchtet. Sie fanden aber nichts. Fazit einer Mitte August veröffentlichten Studie am Massachusetts General Hospital in Boston: »Kinder können ansteckend sein, auch wenn sie milder erkranken oder gar keine Symptome zeigen.« Die Frage, wie man Covid-19 von einer Erkältung unterscheidet, stellt sich bei ihnen wegen der meist milden Verläufe noch mehr als bei Erwachsenen.

Offen ist zudem die Frage, wie leicht sich Kinder selbst infizieren. In Studien zu Infektionen in Haushalten fiel immer wieder auf, dass sich die Jüngeren seltener bei Familienmitgliedern ansteckten als Erwachsene – Kleinkinder noch seltener als Jugendliche. Doch auch dazu haben Forscher bisher keine robusten Daten sammeln können.

Bleibt also nur ein Blick an die vermeintlichen Hotspots selbst: Schulen und Kindertagesstätten. In Deutschland allerdings haben dort durchgeführte Studien bisher wenig ergeben. Immer wieder entdeckte man zwar Infektionsfälle und kleinere Ausbrüche in Schulen. Doch wurden diese meist sehr schnell wieder kontrolliert.

Mehrere große Ausbrüche an Schulen im Ausland

Darüber hinaus deutet bisher wenig darauf hin, dass das Virus in deutschen Schulen bereits häufiger kursierte. In Sachsen schauten Epidemiologen besonders genau hin: In einer Studie fand man unter knapp 2600 Schülern und Lehrpersonal mehrerer Grundschulen und Gymnasien keine einzige infizierte Person. Bluttests von 14 Kindern und Erwachsenen wiesen lediglich auf eine überstandene Infektion hin. Eine ähnliche Untersuchung in Baden-Württemberg lieferte ebenfalls kaum Hinweise auf aktuelle oder vergangene Schulausbrüche. Das klingt erst einmal nach einer guten Nachricht, hat aber wahrscheinlich vor allem etwas damit zu tun, dass das Virus zu den Untersuchungszeitpunkten einfach kaum jemand in den Regionen in sich trug. Wer wissen will, wie geöffnete Schulen einen Corona-Ausbruch vorantreiben können, braucht beides: geöffnete Schulen und Infektionen in der Bevölkerung.

Einen solchen guten Zwischenstand konnten andere Länder nicht vermelden: In Israel, Frankreich und Australien gab es bereits größere Ausbrüche an Schulen. Ebenso in Großbritannien, wo Forscher vom University College London in einem statistischen Modell Möglichkeiten verglichen, wie man am besten damit umgehen sollte. Sie stellten die Fragen: Wie regelmäßig braucht es Tests, und wie intensiv muss man Kontakte nachverfolgen, wenn Kinder wieder zur Schule gehen? Das Ergebnis: Selbst wenn Kinder weniger ansteckend wären als Erwachsene – dafür gibt es ja zumindest ein paar Hinweise –, »wäre eine umfassende und wirksame Testverfolgungs-Isolationsstrategie erforderlich, um eine zweite Covid-19-Welle zu vermeiden«, schreiben die Studienautoren im Fachmagazin »The Lancet Child & Adolescent Health«.

»Es scheint vor allem dann ein Risiko für Schulausbrüche zu geben, wenn das Gesamt-Infektionsgeschehen in der Bevölkerung zunimmt – genauso wie es gerade in Deutschland der Fall ist«Isabella Eckerle, Professorin am Zentrum für Viruserkrankungen der Universität Genf

Nach bisherigem Wissensstand heißt das: Wer Schulen öffnet, riskiert damit einen Anstieg an Coronavirus-Infektionen. Das sieht auch die Genfer Virologin Isabella Eckerle so. »Es scheint vor allem dann ein Risiko für Schulausbrüche zu geben, wenn das Gesamt-Infektionsgeschehen in der Bevölkerung zunimmt – genauso wie es gerade in Deutschland der Fall ist«, sagte sie gegenüber dem Science Media Center. Schulen und Gesundheitsämter könnten dem zwar entgegenwirken, indem sie Infizierte schnell erkennen und isolieren. Doch besteht immer die Gefahr einer Kettenreaktion: Mehr Infektionen bedeuten eine größere Belastung von Gesundheitsämtern und Testlaboren. In der Folge bleiben mehr Infektionen unentdeckt. Schulklassen werden nicht rechtzeitig isoliert. Kinder infizieren mehr Familienmitglieder. Das Virus kann sich schließlich ungebremst verbreiten – die Tür ist offen für die zweite Welle.

Mit diesem Risiko müssen Schulen nun umgehen. Viele haben deshalb bereits einige Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Aus diesen Erfahrungen hat ein Expertengremium der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina Anfang August Vorschläge abgeleitet. Demnach sollten Schülerinnen und Schüler in kleine Gruppen eingeteilt werden – sich dann aber, um sie nicht noch weiter in ihrer Freiheit zu beschränken, ohne Abstandsregeln frei bewegen dürfen. Eine klare räumliche Trennung der einzelnen Gruppen könnte helfen, dass Schulen im Fall eines Ausbruchs offen bleiben dürfen und nur eine Gruppe vorübergehend nach Hause gehen muss. Außerdem sollten bessere Möglichkeiten für das Lernen daheim geschaffen werden.

Ebenfalls diskutiert wird der Einsatz von Masken. In Nordrhein-Westfalen sind sie in Schulen bereits verpflichtend, zumindest auf dem Weg zum Klassenraum, jedoch nicht während des Unterrichts. In Österreich gilt ein Ampelsystem, das je nach Infektionslage eine Maskenpflicht vorschreibt oder darauf verzichtet. Was den Infektionsschutz angeht, gelten Masken als sehr sinnvoll – doch der Realitätscheck im Klassenraum steht noch aus. Die kommenden Wochen werden zeigen, was funktioniert und was nicht.

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