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»China und die Seidenstraße«: Die Seidenstraße – Vorläufer der Globalisierung

Der Sinologe Höllmann schildert anschaulich die Geschichte der Seidenstraße bis zum aktuellen chinesischen Infrastrukturprogramm.
Statt genveränderte Nutzpflanzen wie Getreide, Rüben oder Soja zu importieren, will China künftig eigene Gentech-Pflanzen auf den Feldern anbauen lassen. Bislang ist das untersagt.

Eine Güterzugverbindung von Wuhan in China nach Duisburg. Die Investition in eine Bahnstrecke zwischen den kenianischen Großstädten Nairobi und Mombasa. Der Ausbau des Hafens Gwadar in Pakistan, von dem aus Ölpipelines bis nach China führen könnten – all dies sind Bestandteile der »Neuen Seidenstraße«. Das mit Hunderten von Milliarden US-Dollar finanzierte chinesische Infrastrukturprogramm, das auch als Belt and Road Initiative (BRI) bekannt ist, erinnert schon dem Namen nach an jene Handelsverbindungen, die jahrhundertelang China mit dem Rest der Welt verbanden.

Deren Geschichte erzählt Thomas O. Höllmann in seinem Buch »China und die Seidenstraße. Kultur und Geschichte von der frühen Kaiserzeit bis zur Gegenwart«, das in der Reihe »Historische Bibliothek« der Gerda Henkel Stiftung erschienen ist. Höllmann, Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und emeritierter Professor für Sinologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, kennt Ostasien dank zahlreicher Forschungsreisen aus eigener Anschauung. Für sein Werk stützt er sich daneben auf die Aufzeichnungen Gelehrter und auf archäologische Zeugnisse wie die Wandmalereien in den Höhlen von Dunhuang. Vor allem aber nutzt er historische Gedichte und Reiseberichte. Etwa jenen des chinesischen Gesandten Zhang Qian, der im 2. Jahrhundert v. Chr. bis nach Zentralasien reiste und dort – erfolglos – versuchte, eine militärische Allianz zwischen lokalen Herrschern und dem chinesischen Reich zu schmieden.

Zhang war damit eine der ersten namentlich bekannten Personen, die auf dem gigantischen Netzwerk der Seidenstraßen unterwegs waren. Ihm folgten unzählige andere: Diplomaten, Abenteurer und vor allem Händler. Schon vor 2 000 Jahren verkauften sie über viele Zwischenstationen teure chinesische Seide bis nach Rom.

Leicht zu transportieren, diente Seide zudem als fast überall akzeptiertes wertstabiles Zahlungsmittel für Geschäfte aller Art. Auch die chinesischen Kaiser mischten gerne mit. Zwar lag der Handel offiziell unter ihrer Würde, doch maskierten sie ihn über ein raffiniertes System von »Tributen« und »Geschenken«. Ausländische Delegationen wussten deshalb schon im Vorhinein, wie viel Seide sie beispielsweise für eine Lieferung von Pferden erhalten würden.

Nicht immer lief dabei alles wie geplant, wie Höllmann in seinem mit vielen Anekdoten gespickten Buch belegt. So etwa, als der westtürkische Khagan im Jahr 618 dem chinesischen Kaiser Gaozu wertvolle Perlen schenken wollte. Der Kaiser wies das Geschenk jedoch mit der Bemerkung zurück, die Perlen seien doch »zu nichts gut«.

Während Händler viele Luxusgüter – neben Seide auch Keramik oder Tee – von Osten nach Westen verkauften, reisten Ideen und Weltanschauungen oft in die Gegenrichtung. So die Lehre des Siddhartha Gautama, den seine Anhänger als »Buddha« verehren, den »Erleuchteten«. Von Nordindien aus verbreiteten Mönche und Missionare den Buddhismus zunächst in Zentralasien und dann über die Seidenstraße in China, Korea, Japan und Vietnam. Aber auch Judentum, Christentum und Islam erreichten entlang der Handelsrouten den Fernen Osten.

Zu einem wahren Lesevergnügen wird diese Geschichte der Seidenstraße, weil Höllmanns Begeisterung für sein Thema auf jeder Seite spürbar ist. Achtzig farbige Bilder, meist von Kunstwerken, führen das Leben entlang der Handelsrouten vor Augen. Vor allem aber weiß Höllmann seine literarischen Quellen zu nutzen. Etwa, indem er den oft eher rauen Charme – und fehlenden Komfort – der Karawansereien mit Tagebucheinträgen eines japanischen Mönches lebendig werden lässt: »Das Kloster«, notiert der Mönch über eine offenkundig schäbige Herberge, »war äußerst ärmlich, die Mönche verhielten sich pöbelhaft und ordinär.« Und über einen anderen Aufenthalt weiß er zu berichten: »Unser Gastgeber war von seinem Charakter her ein Bandit, der die Menschen betrog.«

Auch das Treiben auf den Marktplätzen in den Städten, die praktischerweise bisweilen direkt an die Rotlichtviertel grenzten, beschreibt Höllmann äußerst plastisch. Und ebenso die abenteuerliche und gefährliche Reise der Händler, Gesandten und Prediger mitsamt ihrer Esel, Yaks, Pferde und Elefanten entlang schier endlos scheinender Wüsten und über die eiskalten Pässe der zentralasiatischen Gebirge.

Höllmann zeichnet das faszinierende Bild eines Netzwerks, das es Menschen aus China, Indien und Europa ermöglichte, einander zu begegnen. Nicht immer verlief das konfliktfrei, aber zum Vorteil aller: finanziell, sozial und in Bezug auf den Austausch von Ideen und Innovationen.

Heute hingegen behinderten die politischen Spannungen zwischen China und westlichen Ländern den Austausch auch unter Wissenschaftlern zunehmend, schreibt Höllmann mit spürbarem Bedauern. Eine Tendenz, die sich zu verfestigen scheint. So hat die chinesische Führung kürzlich ein Anti-Spionage-Gesetz verschärft. Dieses verbietet nun die Weitergabe von Informationen, die eine nur vage definierte »nationale Sicherheit« sowie »nationale Interessen« gefährden könnten. Einem Klima des offenen Meinungsaustausches dürfte das nicht zuträglich sein. Höllmanns Rückblick auf die jahrhundertalte bewegte Geschichte der Seidenstraßen und der Menschen, die sie bevölkerten, lässt zumindest hoffen, dass dies kein Dauerzustand bleibt.

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