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Storks Spezialfutter: Das unvernünftige Wesen

Gerade um die Jahreswende zeigt sich, wie irrational die Menschen bei ihrer Ernährung sind. Höchste Zeit für ein paar gute Vorsätze in Sachen Fleischkonsum, findet unser Kolumnist.
Zwei Füße auf einer Waage, im Display steht "Help!"
»Bitte nur einzeln auf die Waage steigen!«

Der Homo sapiens, das glauben zumindest sehr viele Vertreter und Vertreterinnen der Spezies, ist ein vernunftbegabtes Wesen. Das heißt, er ist in der Lage, Zusammenhänge zu erkennen, sich ein Urteil zu bilden und dann sein Handeln entsprechend danach auszurichten. Wie diese Vernunftbegabung aussehen könnte oder tatsächlich aussieht, kann man Anfang des Jahres gut beobachten.

Wer nach der üppigen Festtagsbraten-Schlacht beim Schritt auf die Waage oder beim Anziehen einer Hose feststellt, dass sein Bauch an Umfang zugenommen hat, hat verschiedene Handlungsmöglichkeiten:

Er oder sie könnte sich für den Moment damit arrangieren, dass Plätzchen und Gänsebraten ihren Tribut fordern, und Pläne schmieden, die überschüssigen Pfunde in den kommenden Monaten mit guten Vorsätzen und eiserner Disziplin wieder loszuwerden. Das wäre ein halbwegs realistischer Ansatz. Er oder sie könnte auch das eigene Essverhalten grundsätzlich analysieren und dann dauerhaft so anpassen, wie es für die Gesundheit und das eigene Wohlbefinden am zuträglichsten ist – also weniger Fett, weniger Zucker und eine gute Sportroutine. Das wäre der vernünftige Ansatz.

Der Welt steht ein Umbruch bevor – ob die Menschheit will oder nicht: Landwirtschaft, Verkehr und Energiegewinnung müssen nachhaltig und fit für den Klimawandel werden, gleichzeitig gilt es, eine wachsende Weltbevölkerung mit wachsenden Ansprüchen zu versorgen. Was bedeutet das für uns und unsere Gesellschaft? Und was für die Umwelt und die Lebewesen darin?
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.

Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Eine Hose anziehen, die etwas weiter geschnitten ist und den täglichen Schritt auf die Waage einfach bleiben lassen. Dadurch werden die Speckröllchen zwar nicht kleiner, das Problem wird nicht gelöst, aber immerhin wird niemand direkt mit so unschönen Fakten wie konkreten Gewichtsangaben konfrontiert.

Unvernunft ist die Norm

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass dieser dritte, unvernünftige Lösungsansatz wohl am weitesten verbreitet ist: Knapp die Hälfte der Frauen und 60 Prozent der Männer in Deutschland sind übergewichtig. Mindestens. Ein Fünftel aller Deutschen leidet an krankhaftem Übergewicht (Adipositas). Mit dem Übergewicht einher gehen gesundheitliche Risiken wie Bluthochdruck, Diabetes und Herzinfarkt. Und auch die knappe Hälfte der Bevölkerung, die nicht übergewichtig ist, ernährt sich statistisch gesehen alles andere als gesund: Jeder Bürger und jede Bürgerin vertilgt pro Jahr durchschnittlich 55 Kilogramm Fleisch. Das ist mehr als ein Kilogramm pro Woche und viel, viel mehr, als der Gesundheit zuträglich ist. Nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sollte der wöchentliche Fleischkonsum 300 bis 600 Gramm nicht überschreiten. Weniger Fleisch zu essen ist explizit auch kein Problem.

Auch die vernunftbegabtesten Wesen verhalten sich also regelmäßig sehr unvernünftig. Aber das individuelle Verhalten hat immer auch Konsequenzen für die Gesellschaft: Nach Berechnungen der Universität Hamburg belaufen sich die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Adipositas in Deutschland – alle direkten und indirekten Kosten zusammengenommen – auf etwa 63 Milliarden Euro pro Jahr. Die Unvernunft der Einzelnen muss also von der Gemeinschaft finanziert werden. Gerecht ist das nicht.

Trotzdem wird das Ganze gesellschaftlich mehr oder weniger akzeptiert. Jeder darf auch unkluge individuelle Entscheidungen treffen: zu viel trinken, zu viel essen, rauchen, zu wenig Bewegung. In unsere Konsumgesellschaft ist als Kollateralschaden bereits eingepreist, dass ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung vom Überangebot überfordert ist und nicht richtig Maß halten kann.

Es gibt ein weiteres gravierendes Problem bei der Ernährung, das von der Öffentlichkeit so gut es geht verdrängt wird: Unser Essverhalten befeuert den Klimawandel und untergräbt die globale Ernährungssicherheit. Das Problem sind die vielen tierischen Produkte, deren CO2-Bilanz immer um ein Vielfaches schlechter ist als die von pflanzlicher Kost: Nach Angaben des Umweltbundesamtes verursacht ein Kilogramm Rindfleisch durchschnittlich 13,6 Kilogramm CO2, ein Kilogramm Butter 9 Kilogramm CO2 und Schweinefleisch im Durchschnitt 4,6 Kilogramm CO2.

Das Klima landet auf dem Teller

Ein Veggieburger auf Sojabasis verursacht dagegen nur 1,1 Kilogramm CO2, ein Liter Hafermilch 0,3 Kilogramm CO2 (Vollmilch 1,4 Kilogramm CO2) und Auberginen und Zucchini 0,2 Kilogramm CO2. Selbst Importobst wie Bananen (0,6 Kilogramm CO2), Trauben (0,3 Kilogramm CO2) oder Orangen (0,3 Kilogramm CO2) ist um ein Vielfaches klimafreundlicher als alle – auch regionale – Milch- und Fleischprodukte.

Diese Fakten gehören seit Jahren zum Allgemeinwissen. Die entsprechenden Quellen sind im Internet leicht zu finden. Dass die große Mehrheit ihr Verhalten trotzdem noch nicht grundlegend verändert hat, sagt viel über die Natur unserer Spezies aus: Wir sind eben nicht nur vernunftbegabt, sondern auch trotzig, gierig, irrational. In den allermeisten Fällen wissen wir, wenn wir uns unvernünftig verhalten und tun es einfach trotzdem.

Ein häufiger Trick: die Fakten so gut es geht zu ignorieren. Wer sich nicht mit seinen überschüssigen Pfunden auseinandersetzen will, geht der Waage aus dem Weg. Wer fürs Klima nicht auf seine Gewohnheiten verzichten will, recherchiert lieber nicht, wie belastend tierische Produkte für Umwelt und Klima sind.

Der Anfang eines Jahres ist traditionell die Zeit für gute Vorsätze. Höchste Zeit also, um neben dem eigenen Wunschgewicht auch die klimafreundliche Ernährung mit auf die Liste zu nehmen. Eigentlich ganz einfach. Der erste und wichtigste Schritt dabei ist, sich gründlich zu informieren, welche Nahrungsmittel am besten für das Klima sind. Die Ernährung ist die Stellschraube in der Klimabilanz, an der man als Einzelperson am stärksten drehen kann. Und wenn es innerhalb von ein paar Jahren der Gesellschaft als Ganzer gelänge, ihren Fleischkonsum deutlich zu reduzieren, wäre das ein starkes Zeichen an die Politik, den Klimawandel endlich wirklich ernst zu nehmen. Schlemmen wir weiter wie bisher, ist das ebenfalls ein starkes Signal: dass uns der Klimawandel im Grunde egal ist.

Wir haben die Wahl. Wir sind eine vernunftbegabte Spezies. Nur dass Vernunft kein Selbstläufer ist, sondern etwas, für das wir uns aktiv entscheiden müssen.

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