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Artemis-Programm: Helga fliegt zum Mond

Mit Artemis möchte die NASA zurück auf den Mond. Ein Start für den ersten unbemannten Testflug wurde abgebrochen. Doch der Plan bleibt, die Superrakete und das High-Tech-Raumschiff Orion ins All zu schicken.
Das Raumschiff Orion umkreist den Mond
Das Ori­on-Raum­schiff soll den Mond mehr­mals um­run­den und dann wie­der zur Er­de zu­rück­keh­ren.

Die Mondlandungen des Apollo-Programms sind so lange her, dass sie – wenn man Verschwörungsmythen glaubt – gar nicht stattgefunden haben sollen. Aus heutiger Sicht erscheint es ja auch unglaublich, dass der erste Besuch eines Menschen auf dem Mond im Jahr 1969 zwar immerhin live und in Schwarz-Weiß in die ganze Welt übertragen wurde, die Rechenleistung des Apollo-Steuerungscomputers aber so übersichtlich war, dass der Computer heutigen Handy-Ladegeräten unterlegen ist. Doch jetzt möchte die US-Weltraumbehörde NASA wieder zum Mond und testet mit der Mission Artemis-I den Hin- und den Rückflug zu unserem Erdtrabanten mit völlig neuer Ausrüstung auf dem Stand der heutigen Technik.

Am 29. August 2022 sollte es so weit sein und die Schwerlastrakete Space Launch System (SLS) zum ersten Mal abheben, selbstverständlich vom inzwischen altehrwürdigen Kennedy Space Center in Cape Canaveral im US-Bundesstaat Florida. Knapp 100 Meter ist diese Rakete hoch. Man müsste also, stünde man darunter, den Kopf arg in den Nacken legen, um ganz oben an der Spitze die kostbare Fracht zu erspähen, die von der Rakete ins All gebracht werden soll: das Orion-Raumschiff. Der erste Startversuch musste jedoch abgebrochen werden.

Geplant ist der Testlauf von Artemis-I folgendermaßen: Die Rakete soll abheben und – ohne zu explodieren – die Orion-Kapsel sicher ins All und gen Mond schicken. Damit ist die Reise für das »Space Launch System« bereits zu Ende. Sobald das Raumschiff entkoppelt ist, wird es in der Erdatmosphäre verglühen. Das Raumschiff Orion dagegen soll in einer Höhe von etwa 100 Kilometern über der Oberfläche eine Runde um den Mond drehen und sich dann etwa 70 000 Kilometer vom Mond entfernen. Anschließend geht es wieder zurück zur Erde. Dort erwarten die Raumkapsel und vor allem ihren Hitzeschild der Eintritt in die Erdatmosphäre, bevor der Flug ein nasses Ende nimmt: Dann nämlich, wenn die Kapsel möglichst unbeschadet in den Pazifischen Ozean plumpsen soll.

Willkommen an Bord des Raumschiffs Orion

Die Orion-Kapsel bietet Platz für vier Astronautinnen und Astronauten. Artemis-I ist zwar eine unbemannte Mission, aber leer sein wird die Kapsel trotzdem nicht: »Helga sitzt auf Platz vier«, sagt Thomas Berger vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Helga ist keine Astronautin. Helga ist ein so genanntes Phantom, eine Messpuppe ohne Beine und Teil des MARE-Experiments, mit dem der Strahlungsphysiker Thomas Berger und seine Kolleginnen und Kollegen die Strahlenbelastung bei astronautischen Raumfahrtmissionen besser abschätzen wollen. »Wir hatten früher schon einmal eine männliche Messpuppe namens Matroshka auf der Internationalen Raumstation ISS«, sagt Berger. Im Jahr 2004 war diese Messpuppe monatelang an die Außenwand der ISS montiert und sollte dort die Strahlenbelastung für Astronauten ermitteln.

Orion-Raumschiff | Die »Crew« der Ar­te­mis-I-Missi­on auf dem Weg zum Mond: Moonikin Campos, Zohar und Helga (von oben im Uhrzeigersinn).

Denn jenseits des schützenden Erdmagnetfelds wird es im All ungemütlich. »Während astronautischen Missionen sind die Menschen einer ständigen, niedrigen Strahlenbelastung ausgesetzt, die man nicht komplett abschirmen kann«, sagt Christine Hellweg vom DLR. »Deshalb gibt es ein Risiko für chronische und später auftretende Erkrankungen wie Krebs oder Linsentrübung. Das Krebsrisiko unterscheidet sich zwischen den Geschlechtern dadurch, dass bestimmte Organe bei Männern nur wenig ausgebildet sind, beispielsweise die Brust.«

Das Brustkrebsrisiko für Frauen steigt mit der Strahlenexposition. Deshalb werden bei Artemis-I gleich zwei weibliche Phantome an Bord sein: Neben Helga fliegt ein israelisches Phantom namens Zohar mit, das zusätzlich eine Strahlenschutzweste tragen wird.

»Und auf Platz eins sitzt der Commander«, sagt Thomas Berger. Im Gegensatz zu den Phantomen Helga und Zohar handelt es sich beim Commander der Artemis-I Mission um eine Art Crashtest-Dummy der NASA, Beine inklusive, Name: Moonikin Campos.

Außerdem mit an Bord: Snoopy und Shaun das Schaf. Während die »Crew« ihre Reise um den Mond gut angeschnallt verbringen wird, darf Snoopy frei durchs Raumschiff fliegen und zeigen, dass die Orion-Kapsel die Schwerkraft der Erde hinter sich gelassen hat. Shaun das Schaf wird der erste Astronaut der ESA sein, der zum Mond fliegt. »Das mag ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Schritt für die Schafheit sein«, sagte David Parker von der ESA vorab – natürlich mit einem Augenzwinkern.

Mondflug mit Artemis-I: Alles wird wie neu sein

Der Testlauf Artemis-I ist aber nur der öffentlichkeitswirksame Auftakt für das gesamte Artemis-Programm. Geplant ist außerdem die Mission Artemis-II, ein bemannter Testflug für die Orion-Kapsel. Und schließlich werden dann mit der Artemis-III-Mission erstmals seit 1972 wieder Menschen auf den Mond befördert. Damals, vor genau 50 Jahren, verließ der Apollo-17-Kommandant Eugene Cernan den Mond mit den Worten, dass, wenn Gott es wolle, die Menschheit in Frieden und Hoffnung zurückkommen werde. Dieses Mal möchten die USA aber nicht nur Stippvisiten abstatten, sondern auch dort bleiben: zumindest mit einem »Lunar Orbital Platform-Gateway«, einer Raumstation in der Mondumlaufbahn, die zwar nicht durchgängig besetzt, aber doch bewohnbar sein soll. Von dort aus könnten dann Astronautinnen und Astronauten fast bequem mit einer Mondlandefähre zum Erdtrabanten reisen.

»Ich meine, diese Nation sollte sich dem Ziel verschreiben, bis zum Ende des Jahrzehnts einen Menschen auf dem Mond landen zu lassen und ihn wieder sicher zurück zur Erde zu bringen«
John F. Kennedy, 35. Präsident der USA

In der griechischen Sagenwelt ist Artemis die Zwillingsschwester des Gottes Apollo, der als Namensgeber für das Apollo-Programm der NASA in den 1960er und 1970er Jahren diente. Ziel des neu aufgesetzten Artemis-Programms ist unter anderem, die erste Frau zum Mond zu bringen. Mehrere kommerzielle Anbieter basteln außerdem im Auftrag der NASA an diversen unbemannten Mondmissionen, die Experimente und Ausrüstung zum Mond bringen sollen. Das US-Unternehmen SpaceX schraubt bereits die Mondlandefähre zusammen, die bei der Artemis-III-Mission zum Einsatz kommen soll. Bis dahin dauert es aber noch eine Weile, denn der Start für Artemis-III ist frühestens für 2025 vorgesehen. Und vielleicht ist bis dahin der Mann wieder im Amt, dem die NASA das Artemis-Programm zu verdanken hat: der vormalige US-Präsident Donald Trump.

Der Mond ist machbar, der Mars noch nicht

Warum aber hat der Mond seit 1972 keinen menschlichen Besuch mehr bekommen? Die einfache Antwort lautet: Niemand wollte hin, und teuer ist es auch. Zu Zeiten des Apollo-Programms gab es einen Wettlauf ins All mit der Sowjetunion zu gewinnen und eine dramatische Ansprache des damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy zu beherzigen: »Ich meine, diese Nation sollte sich dem Ziel verschreiben, bis zum Ende des Jahrzehnts einen Menschen auf dem Mond landen zu lassen und ihn wieder sicher zurück zur Erde zu bringen.« Das Jahresbudget der NASA betrug in den Jahren 1965 und 1966 deshalb mehr als vier Prozent des US-Bundeshaushalts.

Nach 1972 schrumpfte das Budget der NASA immer weiter, bis es 2020 weniger als 0,5 Prozent des Gesamtbudgets der USA betrug. Doch der Wettlauf ins All und zum Mond war schließlich längst gewonnen.

Das heißt nicht, dass die NASA nicht gerne wieder hingeflogen wäre. Aber es gab keine Rakete, kein Raumschiff, kein Geld und letztlich auch keinen Grund. Zwar werkelt die NASA seit Ende des Spaceshuttle-Programms an einer neuen Schwerlastrakete. Auch die Orion-Raumkapsel befindet sich seit 2005 in der Entwicklung. Aber das im Jahr 2004 vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush verkündete Constellation-Programm zur astronautischen Erkundung des Alls wurde 2009 von US-Präsident Barack Obama eingestellt. Die Riesenrakete SLS sollte zwar gebaut werden – man war ja schließlich schon dabei – aber auf dem Mond landen sollte niemand.

Schwerlastrakete | Das »Space Launch System« steht auf seinem Startplatz am Kennedy Space Center in Florida, USA.

Obamas Nachfolger, der 45. US-Präsident Donald Trump, hätte nun gerne während einer potenziellen zweiten Amtszeit US-Amerikaner auf dem Mars gesehen. Da das selbst mit viel gutem Willen nicht machbar war, wählte er stattdessen die Rückkehr zum Mond und rief das Artemis-Programm ins Leben: Man solle sich zunächst auf eine Reise zum Mond konzentrieren und anschließend den Mars ins Visier nehmen. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden bekannte sich zum Artemis-Programm.

Vielleicht spielt bei alldem auch eine Rolle, dass China in scheinbarer Seelenruhe eine eigene Raumstation in der Erdumlaufbahn baut, mehrere erfolgreiche unbemannte Mondmissionen durchgeführt hat und schon mit einem eigenen Rover auf dem Mars gelandet ist. Offiziell gibt das Land kein Datum an, wann chinesische Astronauten auf dem Mond landen sollen. Allerdings darf man davon ausgehen, dass das nur eine Frage der Zeit ist.

Auch Europa will zum Mond

Auf diesem Testflug ruhen aber nicht nur US-amerikanische Hoffnungen. Denn noch etwas feiert Premiere: das European Service Module (ESM). Dieser riesige Zylinder mit fast vier Meter Durchmesser soll dafür sorgen, dass die Astronautinnen und Astronauten in der Orion-Raumkapsel mit allem versorgt werden, was sie bei ihren Reisen in den Weltraum brauchen: Strom, Wasser, Stickstoff, Sauerstoff, angenehme Temperaturen und Treibstoff.

Das ESM ist ein Resultat aus der Zusammenarbeit von ESA und NASA an der Internationalen Raumstation ISS. Die Amerikaner übernehmen die Kosten für den Betrieb und die Versorgung. Die ESA muss diese Investitionen kompensieren: »Deshalb müssen wir der NASA eine gewisse Summe bezahlen. Und natürlich wollen wir ihnen nicht einfach Geld schicken«, sagt Philippe Berthe, ein Projektmanager bei der ESA, zuständig für das European Service Module. »Das Prinzip der ESA lautet, dass wir für unsere Beteiligung an der ISS mit Leistungen zahlen, weil wir dadurch auch in die europäische Industrie investieren.« Die ESA stellt der NASA deshalb die European Service Modules zur Verfügung: Philippe Berthe schätzt, dass jedes ESM-Modul rund 250 Millionen Euro kostet.

Wiederverwendbar sind sie nämlich nicht. Für jede Artemis-Mission muss ein neues Modul her. Während das ESM-1 für seinen baldigen Start bereit ist, baut Airbus Bremen derzeit schon das ESM-3 zusammen.

Es ist ein Tauschgeschäft – eines, das vielleicht sogar darin gipfeln könnte, dass irgendwann auch mal eine Europäerin oder ein Europäer auf dem Mond stehen darf. Bereits jetzt sind künftige Servicemodule als Tausch für drei Flüge europäischer Astronauten zum geplanten Lunar Gateway vorgesehen. Insgesamt sechs Servicemodule wird die ESA nach aktuellem Stand in die USA ausliefern. Nun klingen Flüge zum Lunar Gateway zwar schon gut, aber wie sieht es mit einer Mondlandung aus?

»Erst einmal fliegen die Amerikaner zum Mond, und wir wissen alle, dass Artemis-III eine komplett US-amerikanische Besatzung sein wird«, sagt Philippe Berthe. Was danach passieren könnte, ob vielleicht auch internationale Astronautinnen und Astronauten eine Chance bekommen, wird derzeit zwischen den Weltraumorganisationen verhandelt: »Natürlich sprechen wir darüber.«

Schätzungen zufolge hat rund ein Fünftel der Weltbevölkerung die erste Mondlandung gesehen – etwa 600 Millionen Menschen schauten am 20. Juli 1969 live zu. Bei der vorerst letzten Mondlandung im Jahr 1972 hingegen war das öffentliche Interesse bereits, nun ja, bescheiden – die »New York Times« merkte damals an, dass Bilder von kargen Mondlandschaften und schwebenden Astronauten sehr schnell zur Gewohnheit und irgendwie langweilig würden.

Wird die NASA die Begeisterung für den Mond wieder wecken können? Kürzlich wurde der NASA-Chef Bill Nelson während eines Pressetermins zum bevorstehenden Artemis-I Start gefragt, wie es denn mit der Öffentlichkeitsarbeit aussähe. Der Journalist meinte, in seinem Team aus 20 Leuten wüssten überhaupt nur zwei darüber Bescheid, dass die USA wieder zum Mond wollen, er selbst eingeschlossen. Nelson zeigte sich zuversichtlich: »Sobald wir wieder Menschen auf eine Rakete mit 39 Millionen Newton Startschub setzen, kann ich Ihnen garantieren, dass die Leute sich für unser Raumfahrtprogramm interessieren werden.«

Artemis-I soll nur der Anfang sein. Fast ein bisschen trotzig wirkt da das Motto der NASA für diese Mission: »We are going!« Die Chancen stehen gut, dass wir noch innerhalb dieses Jahrzehnts eine Mondlandung ansehen können – dann nicht mehr grieselig und in Schwarz-Weiß, sondern live und in Farbe.

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