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Omikron-Subvariante: Warum verbreitet sich die BA.2-Linie schneller als das Original?

Dutzende von Mutationen unterscheiden BA.1 von BA.2. Die neue Linie könnte die Omikron-Welle daher verlängern, muss aber nicht unbedingt eine neue Welle von Covid-Infektionen auslösen.
Eine Verwandte der Omikron-Hauptvariante verdrängt das Original weltweit: B2.A (künstlerische Darstellung).

Eine Verwandte der Omikron-Hauptvariante verdrängt das Original weltweit: BA.2 hat sich in den vergangenen Wochen in Ländern wie Dänemark, den Philippinen und Südafrika rasch ausgebreitet. Sie folgt auf die Omikron-Variante BA.1 des Virus Sars-CoV-2, die Ende November 2021 erstmals im südlichen Afrika entdeckt wurde und sich rasch über die ganze Welt verteilte.

Laut einer Laborstudie zu BA.2 ist ihr schneller Aufstieg wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass sie übertragbarer ist als BA.1. Andere vorläufige Studien legen nahe, dass BA.2 die auf Impfungen oder Infektionen mit früheren Varianten beruhende Immunität leicht überwinden kann, obwohl sie dabei nicht viel besser ist als BA.1.

Wenn epidemiologische Studien in der Praxis diese Schlussfolgerungen bestätigen, ist es nach Ansicht der Wissenschaftler unwahrscheinlich, dass BA.2 nach dem ersten Ansturm von Omikron eine zweite große Welle von Infektionen, Krankenhausaufenthalten und Todesfällen auslösen wird.

»Es könnte die Omikron-Welle verlängern. Aber unsere Daten weisen darauf hin, dass es nicht zu einer brandneuen zusätzlichen Welle führen wird«, sagt Dan Barouch, ein Immunologe und Virologe am Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston, Massachusetts, der die Laborstudie leitete, die am 7. Februar 2022 auf dem Preprint-Server medRxiv veröffentlicht wurde.

BA.2 hat wohl einen Wachstumsvorteil

Der stetige Anstieg der Prävalenz von BA.2 in mehreren Ländern lässt vermuten, dass der Typ einen Wachstumsvorteil gegenüber anderen zirkulierenden Varianten hat, sagt Mads Albertsen, Bioinformatiker an der Universität Aalborg in Dänemark. Das gilt auch für andere Formen von Omikron, wie eine weniger verbreitete Linie namens BA.3.

»Aus wissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage nach dem Warum«, sagt Barouch. Vermutlich habe Omikron die Delta-Variante vor allem deshalb so schnell verdrängt, weil sie in der Lage ist, Menschen zu infizieren und sich unter ihnen auszubreiten, die zuvor gegen Delta immun waren. Eine Möglichkeit für den Aufstieg von BA.2 ist also, dass sie noch besser als BA.1 in der Lage ist, die Immunität zu überwinden – möglicherweise einschließlich des Schutzes, der durch eine BA.1-Infektion erworben wurde.

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Das unterschiedliche Verhalten der Varianten könnte durch ihre zahlreichen genetischen Unterschiede erklärt werden. Dutzende von Mutationen unterscheiden BA.1 von BA.2 – insbesondere an Schlüsselstellen des Spike-Proteins des Virus, des Ziels potenter Antikörper, die die Infektion blockieren können. »BA.2 hat ein ganzes Bündel neuer Mutationen, die noch niemand getestet hat«, sagt Jeremy Luban, Virologe an der University of Massachusetts Chan Medical School in Worcester.

Um etwaige Unterschiede zwischen BA.1 und BA.2 zu ermitteln, hat das Team von Barouch gemessen, wie gut die »neutralisierenden« oder virusblockierenden Antikörper im Blut von Menschen die Zellen vor einer Infektion durch Viren mit dem Spike-Protein der beiden Varianten schützen. Die Studie untersuchte 24 Personen, die drei Dosen des von Pfizer in New York City hergestellten RNA-Impfstoffs erhalten hatten; sie produzierten neutralisierende Antikörper, die eine Infektion durch Viren mit BA.1-Spike etwas besser abwehrten als solche mit BA.2-Spike. Das Gleiche galt für eine kleinere Gruppe von Personen, die während der ersten Omikron-Welle durch eine Infektion und in einigen Fällen auch durch eine Impfung immun geworden waren.

Der geringe Unterschied in der Gesamtwirkung gegen die beiden Varianten bedeutet, dass die Fähigkeit, sich der Immunität zu entziehen, wahrscheinlich nicht der Grund für den weltweiten Aufstieg von BA.2 ist, sagt Barouch.

Varianten im Vergleich

Die Ergebnisse decken sich mit denen einer Vorabveröffentlichung vom 9. Februar 2022, die unter der Leitung des Virologen David Ho von der Columbia University in New York City erschienen ist. Demnach haben BA.2 und BA.1 ähnliche Fähigkeiten, neutralisierenden Antikörpern im Blut von Menschen zu widerstehen, die geimpft oder zuvor infiziert worden waren.

Das Team von Ho fand jedoch auch Anzeichen dafür, dass genetische Mutationen, die nur bei BA.2 auftreten, die Art und Weise beeinflussen, wie einige Antikörper die Variante erkennen. Eine Familie von Antikörpern, die sich an einen Teil des Spike-Proteins anlagern, der an Wirtszellen bindet, neutralisiert BA.2 laut dem Team viel weniger wirksam als BA.1. Außerdem sei ein anderer Typ von Spike-Antikörpern tendenziell aktiver gegen BA.2. Und in einer Vorabveröffentlichung vom 15. Februar 2022 unter der Leitung des Virologen Kei Sato von der Universität Tokio wurde festgestellt, dass Hamster und Mäuse, die mit BA.1 infiziert waren, Antikörper produzierten, die weniger wirksam gegen BA.2 waren als gegen BA.1.

Es ist noch nicht klar, was die jüngsten Laborstudien für den Immunschutz gegen BA.2 in der realen Welt bedeuten. Laut Barouch kann man auf Grund der Studie seines Teams keine Aussage darüber machen, ob Menschen, die sich von BA.1 erholt haben, für eine erneute BA.2-Infektion anfällig sind. Er ist jedoch der Ansicht, dass die Daten seines Teams darauf hindeuten, dass dieses Risiko bei BA.2 wahrscheinlich nicht viel höher ist als bei BA.1.

Nachrichtenberichten zufolge haben Forscher in Israel eine Hand voll Fälle identifiziert, in denen Menschen, die sich von BA.1 erholt hatten, mit BA.2 infiziert wurden. Inzwischen haben dänische Forscher mit einer Studie begonnen, um festzustellen, wie häufig solche Reinfektionen auftreten, sagt Troels Lillebaek, Molekularepidemiologe am Staatlichen Seruminstitut in Kopenhagen und Vorsitzender des dänischen Ausschusses für die Risikobewertung von Sars-CoV-2-Varianten. »Wenn es keinen Schutz gäbe, wäre das eine Überraschung, und ich halte es für unwahrscheinlich. In einigen Wochen werden wir Gewissheit haben.«

Virale Eigenschaften

Eine andere Studie über die Verbreitung von Omikron in mehr als 8000 dänischen Haushalten deutet darauf hin, dass der Anstieg von BA.2 auf einen Mix von Faktoren zurückzuführen ist. Die Forschenden, darunter Lillebaek, fanden heraus, dass ungeimpfte, doppelt geimpfte und geboosterte Personen allesamt anfälliger für eine BA.2-Infektion sind als für eine BA.1-Infektion.

Die Tatsache, dass ungeimpfte Personen ebenfalls ein erhöhtes Risiko für eine BA.2-Infektion haben, deutet darauf hin, dass andere Eigenschaften des Virus als die Umgehung des Immunsystems zumindest teilweise für seine erhöhte Übertragbarkeit verantwortlich sind, sagt Lillebaek.

In Dänemark, wo die Impfraten hoch sind, verursacht der Aufstieg von BA.2 bisher keine nennenswerten Probleme, erklärt Lillebaek. Eine vorläufige Studie ergab, dass die Variante offenbar keine schwereren Erkrankungen verursacht als BA.1, auch nicht bei Kindern.

BA.2 könnte jedoch an Orten mit niedrigeren Impfraten eine größere Herausforderung darstellen, sagt Lillebaek. Der Wachstumsvorteil der Variante gegenüber BA.1 bedeutet, dass sie die Omikron-Spitzenwerte verlängern könnte, was die Infektionswahrscheinlichkeit für ältere Menschen und andere Gruppen mit hohem Risiko einer schweren Erkrankung erhöht. »Das Hauptproblem bei BA.2 ist die noch stärkere Übertragung«, fügt Lillebaek hinzu. »Man riskiert, dass noch mehr Menschen innerhalb kurzer Zeit positiv getestet werden, was das Krankenhaussystem belastet.«

Mutation, Mutation, Mutation

Es gibt auch Hinweise darauf, dass BA.2 die Behandlungsmöglichkeiten einschränken könnte. In Laborexperimenten fand das Team von Ho heraus, dass die Variante gegen einen therapeutischen monoklonalen Antikörper namens Sotrovimab resistent ist, der gegen BA.1 wirksam war. Wie der Hersteller des Medikaments, Vir Biotechnology in San Francisco, Kalifornien, jedoch in einer Pressemitteilung vom 9. Februar 2022 erklärte, legen seine eigenen unveröffentlichten Experimente nahe, dass Sotrovimab weiterhin gegen BA.2 wirksam ist.

Die Identifizierung der spezifischen Eigenschaften von BA.2 und der genetischen Mutationen, die für ihren Wachstumsvorteil verantwortlich sind, wird keine einfache Angelegenheit sein, sagt Luban. Bei anderen sich schnell ausbreitenden Varianten, darunter Alpha und Delta, haben Forscher Mutationen entdeckt, die die Übertragung zu beschleunigen scheinen, aber es ist unwahrscheinlich, dass diese das Verhalten dieser Varianten vollständig erklären.

Und molekulare Mechanismen, die für die Vorteile anderer Varianten wichtig zu sein scheinen – wie diejenigen, die die Fähigkeit des Virus steuern, sich fest an menschliche Zellen zu binden oder seine Membranen schnell mit denen infizierter Zellen zu verschmelzen –, könnten für die Unterscheidung zwischen BA.1 und BA.2 weniger entscheidend sein, fügt Luban hinzu. »Omikron hat vielen Leuten, die dachten, alles sei klar, eine schallende Ohrfeige verpasst«, sagt er. »Es ist ein Rätsel.«

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