Schleifenquantengravitation: Das Ende der Zeit

Raum und Zeit gehören zu den alltäglichsten, aber auch den unverstandensten Phänomenen der Physik. Immerzu messen wir Längen oder Zeitdauern – teilweise so genau, dass beispielsweise GPS-Geräte für verlässliche Ortungen die Regeln der Relativitätstheorie berücksichtigen müssen. Und dennoch ist bis heute nicht geklärt, wie Zeit und Raum auf kleinster Skala aussehen. Treten auch diese Größen bloß in kleinen Häppchen auf, so wie die übrigen Quantenobjekte? Oder sind sie grundlegend kontinuierlich und unterscheiden sich damit von allen anderen physikalischen Systemen?
Die allgemeine Relativitätstheorie besagt, dass Raum und Zeit eine gewisse Form haben. Diese ist für uns nicht wirklich greifbar, weil sie sich im Vierdimensionalen entwickelt. Mathematisch lässt sich das durch Krümmung beschreiben, deren Folgen wir indirekt als Schwerkraft wahrnehmen. Massereiche Objekte ziehen sich an, und selbst Lichtstrahlen werden von ihrer geraden Bahn abgelenkt, wenn sie an Materie vorbeifliegen, welche die Raumzeit verformt.
Themenwoche: Die Jagd nach der Weltformel
Die Gravitation sticht als einzige der vier Grundkräfte heraus: Anders als der Elektromagnetismus und die Kernkräfte scheint sie nicht den seltsamen Regeln der Quantenphysik zu folgen. Viele Physiker sind davon überzeugt, dass eine Theorie der Quantengravitation für ein vollumfängliches Verständnis unserer Welt nötig ist. In dieser Themenwoche beleuchten wir einige Anwärter einer solchen Theorie – und erklären, wie man sie testen könnte.
Wissenschaftsgeschichte: Die 100 Jahre lange Suche nach einer Weltformel
Schleifenquantengravitation: Das Ende der Zeit
Teleparallele Gravitation: Eine neue Raumzeit für eine Weltformel
Nichtkommutative Geometrie: Eine quantenmechanische Struktur des Kosmos
Entropie: Schwarze Löcher als Schlüssel zur Weltformel
Experimente: Folgen Raum und Zeit den Gesetzen der Quantenphysik?
Gödelsche Unvollständigkeit: Ist die Frage nach einer Weltformel unentscheidbar?
Alle Inhalte zur Themenwoche »Die Jagd nach der Weltformel« finden Sie auf unserer Themenseite »Quantengravitation«.
Durch Albert Einsteins Theorie sind Raum und Zeit nicht mehr bloß eine statische Umgebung, sondern sie sind selbst zu physikalischen Objekten mit dynamischen Eigenschaften geworden, die sich zum Beispiel in der Ausdehnung des Universums oder in Gravitationswellen erkennen lassen. Diese vierdimensionale Raumzeit ist zwar abstrakt, aber sie weicht nicht von der intuitiven Vorstellung ab, dass man grenzenlos in einen Bereich zoomen kann. Einstein beschrieb die Raumzeit als kontinuierlich. Man kann demnach beliebig kleine Raum- oder Zeitintervalle auflösen.
Als dynamische physikalische Objekte sollten Raum und Zeit jedoch. auch den Gesetzmäßigkeiten der Quantenmechanik unterliegen. Und diese bedingt meist ein diskretes Verhalten und Quantensprünge. Allerdings erwies sich die Suche nach einer Verbindung von Raumzeit und Quantenphysik – einer Theorie der Quantengravitation – bisher als sehr schwierig. Es gibt verschiedene Kandidaten für Quantengravitationstheorien mit unterschiedlichen Auffassungen der Raumzeitstruktur auf kleinsten Ebenen.
Zugänge zur Quantengravitation
Die Entwicklung einer Quantentheorie der Schwerkraft gilt als eine der größten Herausforderungen in der modernen Physik. Da es noch keine direkten Hinweise aus Experimenten oder Beobachtungen gibt, haben sich verschiedene Zugänge entwickelt, deren Vertreter sich oft heftig und mit gegenseitigem Unverständnis auseinandersetzen. Es ist aber wichtig, alle Möglichkeiten vorurteilsfrei zu behandeln, weil sie unterschiedliche Vor- und Nachteile besitzen.
Die Stringtheorie ist der älteste Zugang. Er beruht auf winzigen, schwingenden Fäden, die anders als Punktteilchen auch Gravitationseigenschaften besitzen können. Die Stringtheorie hat von Anfang an die Symmetrien der Raumzeit ernst genommen und sie erfolgreich verwirklicht – allerdings nur unter der Annahme zusätzlicher Raumzeitdimensionen oder etlicher neuer (und bisher unbeobachteter) Elementarteilchen. Außerdem setzt die Stringtheorie in ihrer ursprünglichen Formulierung bestimmte Eigenschaften der Raumzeit voraus, die sie nicht vollständig herleitet. Sie wird daher als »hintergrundabhängig« bezeichnet.
Mit »kausalen dynamischen Triangulierungen« lässt sich die Raumzeit aus diskreten, tetraederförmigen Bausteinen konstruieren. Diese Objekte werden dann weitgehend computergestützt analysiert. Eine Mittelung über diese Bausteine kann die kontinuierliche Raumzeit eines expandierenden Universums beschreiben. Anders als die Stringtheorie sind kausale dynamische Triangulierungen hintergrundunabhängig, weil sie keine kontinuierliche Geometrie voraussetzen.
Die Schleifenquantengravitation besitzt ebenfalls diese wichtige Eigenschaft. Ihre Simulation ist noch nicht so weit fortgeschritten wie die der kausalen dynamischen Triangulierungen. Dafür gibt es mehr Ergebnisse mathematischer Natur. Eines davon ist die mögliche Vermeidung der Singularität am Urknall, kombiniert mit einem Verschwinden der Zeit.
Einer der bekanntesten Ansätze ist die Schleifenquantengravitation. Sie beschreibt den Raum als ein Netzwerk aus winzigen Schleifen. Wie viele andere Anwärter hat auch diese Theorie mit einem grundlegenden Problem zu kämpfen: Die Symmetrien, die wir alltäglich zur Orientierung nutzen, passen nicht zu einer solchen körnigen Raumzeit. Trotzdem lassen sich mögliche Auswirkungen einer Raumzeit aus Schleifen untersuchen. Laut ersten Modellen verschwinden die Unendlichkeiten zu Beginn des Urknalls – ebenso wie die Zeit selbst.
Ein Gitter hat andere Symmetrien
Wir können uns im Raum drehen und so aus unterschiedlichen Winkeln auf die Welt blicken. Eine solche »Rotationssymmetrie« lässt sich aus mathematischer Sicht recht einfach beschreiben. Doch unser Universum ist komplizierter, wie Albert Einstein bereits Anfang des 20. Jahrhunderts feststellte. Seine spezielle Relativitätstheorie besagt, dass die physikalischen Gesetzmäßigkeiten auch dann gelten, wenn man sich mit gleich bleibender Geschwindigkeit bewegt. Das beschreibt ebenfalls eine Symmetrie, wenn auch eine etwas kompliziertere. Zusammen mit den Rotationen bilden die Geschwindigkeitsänderungen die so genannten Lorentz-Transformationen. Sie dienen als Grundlagen für Theorien unseres Universums.
Lorentz-Transformationen sind kontinuierlich. Man kann sich um einen verschwindend kleinen Winkel drehen oder seine Geschwindigkeiten minimal ändern und aus dieser Perspektive die Welt gleichermaßen beschreiben. Diese Kontinuität verträgt sich jedoch nicht mit einer gequantelten Struktur von Raum und Zeit. Denn falls Raum und Zeit wie ein Festkörper aus einzelnen, regelmäßig angeordneten Grundbestandteilen bestehen, dann fallen die Gitterpunkte nur für ganz bestimmte Drehungen wieder mit den ursprünglichen Gitterpunkten zusammen.
Daher benötigt eine Theorie der Quantengravitation ein neues Verständnis von Symmetrien sowie der Raumzeit, in der sie erfüllt sind. Doch neue Symmetrien sind nur schwer zu erraten. Wir sind deshalb auf experimentelle Ergebnisse oder Beobachtungsdaten angewiesen, die Abweichungen von den bisher etablierten Theorien wie der allgemeinen Relativitätstheorie oder der Quantenphysik erkennen lassen. Leider gibt es bisher keine solchen Hinweise – und angesichts der aktuellen technischen Möglichkeiten sind in naher Zukunft auch keine zu erwarten.
Symmetrien der Raumzeit
Drehungen innerhalb der Raumzeit lassen sich einfach geometrisch darstellen (links): Man kippt das Koordinatensystem mit den Raumachsen x und y um den entsprechenden Winkel und erhält ein neues Koordinatensystem mit x' und y'.
Geschwindigkeitsänderungen lassen sich schwerer visualisieren. Laut der speziellen Relativitätstheorie ist die Lichtgeschwindigkeit konstant und in allen Systemen gleich. Diese Feststellung hat weit reichende Auswirkungen auf das Verständnis von Raum und Zeit: beide Größen sind untrennbar miteinander verbunden.
Zu einer Raumachse (x oder x') lässt sich stets eine Zeitachse konstruieren. Zwei blaue (rote) Lichtstrahlen, die mit gleichem Abstand rechts und links vom Ursprung der Raumachse x (x') starten, treffen sich genau in der Mitte, also an einem Punkt der Zeitachse. Wenn man ct (ct') als Zeitwert wählt (c steht für die Lichtgeschwindigkeit), entsprechen alle Lichtstrahlen Geraden mit einer Steigung von 45 Grad. Transformierte Raumachsen erzeugen auf diese Weise Zeitachsen, die sich auf die Raumachsen erstrecken.
Das zeigt sich, wenn man die Naturkonstanten der herkömmlichen Theorien miteinander verbindet. Die Stärke der Schwerkraft wird durch die newtonsche Gravitationskonstante beziffert, diejenige der Quantenmechanik durch das plancksche Wirkungsquantum. Kombiniert man beide Werte mit der Lichtgeschwindigkeit, ergibt sich eine Längenskala, die Planck-Länge. Dort sollten sich Effekte der Quantengravitation zeigen. Die Planck-Länge ist kleiner als ein Billiardstel der Distanzen, die sich mit den besten Teilchenbeschleunigern messen lassen. Diese Länge kann man außerdem in eine Planck-Dichte umrechnen. Sie entspricht der Masse von etwa einer Billion Sonnen gepresst auf das Volumen eines einzelnen Protons. So hohe Dichten treten nur in Extremsituationen wie dem Urknall oder innerhalb Schwarzer Löcher auf – experimentell ist beides unerreichbar.
Wenn es keine direkten Beobachtungen gibt, sind der Fantasie für eine Theorie der Quantengravitation keine Grenzen gesetzt – abgesehen von einigen mathematischen Rahmenbedingungen, die erfüllt sein müssen. Aus diesem Grund gibt es viele verschiedene Ansätze, denen unterschiedliche Vorstellungen und Motivationen zu Grunde liegen. Einer davon ist die Schleifenquantengravitation, an der ich arbeite. Wobei es hier wahrscheinlich irreführend ist, von einem einzelnen Ansatz zu sprechen. Inzwischen haben sich verschiedene Varianten davon entwickelt, die sich teilweise stark voneinander unterscheiden. Ein Vorteil, den einige Schleifenquantengravitationstheorien mit sich bringen, ist, dass sie neue Symmetrien der Raumzeit herleiten können.
Alles ist durch Energie bestimmt
Die Schleifenquantengravitation beruht auf einer grundlegenden Eigenschaft der Physik. Nach der ist die zeitliche Entwicklung eines Systems durch seine Energiefunktion bestimmt.
Das Prinzip gilt schon für die klassische Mechanik; dort entspricht diese Funktion der Summe aus kinetischer und potenzieller Energie. Ausgehend von einer Startposition und einer Geschwindigkeit begibt sich das System auf einen Weg, bei dem sich die potenzielle Energie schnellstmöglich verringert, während die Geschwindigkeit entsprechend zunimmt. Das lässt sich zum Beispiel beobachten, wenn man einen Ball aus der Höhe fallen lässt.
Aus dem Ansatz lässt sich die Quantenmechanik ableiten, indem man die Energiefunktion der Mechanik »quantisiert«. Auch hier gibt es kinetische und potenzielle Energie, die in diesem Fall aber nicht immer durch kontinuierliche reelle Zahlen festgelegt sind. Stattdessen ergeben sich oft nur diskrete – gequantelte – Werte für die Gesamtenergie. Änderungen der Energie müssen dann in Quantensprüngen stattfinden; dadurch können Atome zum Beispiel nur Licht bestimmter Wellenlänge aussenden oder absorbieren.
Wenn man so ein sprunghaftes Verhalten beschreiben könnte, ohne die Symmetrien der Raumzeit zu verletzen, hätte man eine Theorie der Quantengravitation gefunden
Auch die Raumzeit hat eine Energiefunktion, die sich aus der allgemeinen Relativitätstheorie herleitet. Diese Funktion ist viel komplizierter als die Summe kinetischer und potenzieller Energie in der klassischen Mechanik. Sie hängt von den Krümmungseigenschaften der Raumzeit ab. Dennoch ist sie ein wichtiges Hilfsmittel, um die vielen möglichen zeitlichen Entwicklungen – sowohl in der Kosmologie als auch in der Astrophysik – zu berechnen. Ähnlich wie bei der Mechanik könnte auch die Energiefunktion der Raumzeit quantisiert sein, so dass sich zum Beispiel das Volumen des sich ausdehnenden Universums in Quantensprüngen ändert, etwa durch Hinzufügen eines einzelnen Planck-Raumwürfelchens. Wenn man so ein sprunghaftes Verhalten beschreiben könnte, ohne die Symmetrien der Raumzeit zu verletzen, hätte man eine Theorie der Quantengravitation gefunden. Von diesem Ziel sind wir noch weit entfernt.
Dennoch besteht der Grundgedanke der Schleifenquantengravitation darin, die Energiefunktion der allgemeinen Relativitätstheorie zu quantisieren. Dafür sind allerlei Tricks nötig – von einem der Kniffe leitet sich der Name der Theorie ab.
Eine Raumzeit als Netzwerk aus Schleifen
Der Mathematiker und Physik-Nobelpreisträger Roger Penrose entwickelte in den 1970er Jahren eine mathematische Konstruktion namens Spin-Netzwerk. Der Name bezieht sich auf mathematische Ähnlichkeiten zwischen den Eigenschaften von Rotationen in der Quantenmechanik, dem Spin. Das Netzwerk besteht aus unregelmäßig angeordneten Punkten. Sie sind durch eine unterschiedliche Anzahl an Kanten verbunden, wobei jede mit einer ganzen Zahl verknüpft ist. Das Netzwerk erlaubt es, die Geometrie des Raums zu einer festen Zeit herzuleiten: Eine zweidimensionale Fläche hat einen Flächeninhalt, der sich durch die Summe der Zahlen auf den Kanten ergibt, welche die Fläche kreuzen. Das Volumen eines dreidimensionalen Bereichs entsteht entsprechend aus den eingeschlossenen Knoten des Netzwerks.
Jedes Spin-Netzwerk geht aus einer Kombination von geschlossenen Kurven hervor – so genannten Schleifen –, die sich teilweise überlappen. Und wie sich herausstellt, lässt sich mit diesen Schleifen das Energiefunktional der allgemeinen Relativitätstheorie lösen. Da diese Netzwerke nur ganze Zahlen enthalten, ergibt sich dadurch eine natürliche Art der Quantisierung: Die Struktur fußt auf diskreten Werten statt auf kontinuierlichen reellen Zahlen. Dank der unregelmäßigen Natur der Netzwerke lässt sich außerdem Krümmung geometrisch beschreiben.
Eine Schwierigkeit ist allerdings die Zeit. Denn sie spielt in der Konstruktion keine Rolle. Die zeitliche Entwicklung lässt sich durch eine geeignete Änderung eines Spin-Netzwerks modellieren. Dabei dürfen sich sowohl die Netzwerkstruktur, also die Zahl von Knotenpunkten und Kanten, als auch die ganzzahlige Kennzeichnung ändern. Der Prozess kann aber nicht beliebig sein. Zum einen muss die sich daraus ergebende Geometrie zumindest näherungsweise mit der bekannten Ausdehnung des Universums übereinstimmen. Zum anderen muss der Prozess die Symmetrien der Raumzeit erfüllen – in diesen sind Raum und Zeit eng miteinander verwoben.
Es genügt also nicht, die zeitliche Entwicklung eines einzelnen räumlichen Spin-Netzwerks zu beschreiben. Eine Raumzeit existiert nur, wenn man in dieser sich entwickelnden Struktur unterschiedliche Zeitachsen wählen kann, die verschiedene Beobachter mit verschiedenen Geschwindigkeiten wahrnehmen (je schneller man sich bewegt, desto langsamer vergeht für einen selbst die Zeit). Die Kernfrage ist also, wie man diese Symmetrien in einer diskreten Raumzeit erhalten kann. Diese Frage ist bis heute offen.
Konkrete Auswirkungen
Trotzdem kann man untersuchen, welche Auswirkungen eine Quanten-Raumzeit mit sich bringen würde. Dabei sind oft Vereinfachungen nötig. Zum Beispiel gehen einige Ansätze der Schleifenquantengravitation davon aus, die Materie sei gleichmäßig im Weltall verteilt – vor allem, wenn man an einer sprunghaften Ausdehnung des Raums interessiert ist. Zunächst kann man dabei die diskrete Struktur des Raums vernachlässigen, selbst wenn man Quantensprünge im Anwachsen des Volumens berücksichtigt. So lassen sich die Folgen dieser Diskretheit erkunden, die bei kleinem Volumen wichtig sind, also am oder kurz nach dem Urknall.
Wenn man solche grundlegenden Phänomene erst einmal verstanden hat, kann man die Modelle durch kompliziertere Eigenschaften wie räumliche Gitterstrukturen erweitern. Das Ziel ist es, mit den Gleichungen die Materieverteilung im Universum vorherzusagen, um sie mit unseren Beobachtungen zu vergleichen.
Eine besondere Eigenschaft von diskreten Räumen ist, dass sie bloß eine begrenzte Menge an Energie pro Volumen aufnehmen können – das heißt, sie beschränken die Materiedichte im Raum. Das lässt sich erkennen, wenn man das Verhalten von kleinen Häppchen aus Energie betrachtet. Energiequanten werden durch Wellenfunktionen beschrieben, deren Frequenz proportional zu ihrer Energie ist. Ein Gitter, das einen bestimmten Abstand zwischen den Gitterpunkten hat, kann keine Wellen mit beliebig großen Frequenzen tragen – deshalb ist die Energie beschränkt. Das sollte zumindest den Urknall zügeln, der laut Einsteins Relativitätstheorie am Anfang des Universums eine unbegrenzte Energiedichte besaß.
Das ist wichtig, denn die unbegrenzte Dichte ist eine mathematische Singularität, an der die Gleichungen versagen. Streng genommen ist der Urknall demnach nicht der Anfang des Universums, sondern eher eine Grenze dessen, was die allgemeine Relativitätstheorie über die Entstehung des Universums sagen kann. Ohne Singularität könnte die Quantengravitation mehr Aufschluss über eine Zeit vor dem Urknall oder die Raumzeit tief im Inneren Schwarzer Löcher geben.
In der Fachwelt ist es sehr populär, neue kosmologische Modelle zu entwickeln, die statt Unendlichkeiten eine Zeit vor dem Urknall erlauben. Im Gegensatz zu einer Quantengravitationstheorie kommen viele Modelle mit elementarer Mathematik und computergestützten Methoden aus. Die Singularität am Urknall wird dabei oft durch eine Art Umschwung ersetzt, an dem ein kollabierendes Vorgängeruniversum die Planck-Dichte erreicht und sich dann in ein expandierendes Universum verwandelt. Abgesehen von der Singularität bleiben die wesentlichen Eigenschaften des Urknallmodells erhalten, zum Beispiel die kosmische Hintergrundstrahlung oder die Entstehung der ersten Teilchen.
Allerdings ignorieren diese einfachen kosmologischen Modelle wichtige Bedingungen wie Symmetrien. Daher entsprechen sie einfach ersten Gerüsten, die zwar beim Aufbau einer Quantengravitation helfen können, dann aber wieder abgebaut werden müssen. Das sich daraus ergebende Gebäude lässt sich noch nicht erahnen. Oft lernt man mehr durch die Schwachstellen eines Modells als durch computergestützte Simulationen seiner möglichen physikalischen Auswirkungen.
Wenn sich die Singularitäten beseitigen lassen, besteht die Hoffnung, irgendwann tatsächlich in eine Zeit vor dem Urknall zu blicken. Mit elektromagnetischen Wellen (wie sichtbarem Licht oder Mikrowellen) wird das allerdings niemals möglich sein. Denn die heiße Materie formte beim Urknall ein Plasma, das die Strahlung absorbierte oder stark streute. Gravitationswellen konnten hingegen nahezu ungestört durch die Phase des Urknalls reisen. Um sie zu detektieren, muss man die Signale bei niedriger Intensität über einen großen Teil des Himmels messen. Das ist bisher noch nicht möglich.
Eine verschwindende Zeit
Wer von einer Zeit während oder vor dem Urknall spricht, nimmt implizit an, dass sich Raum und Zeit bei extrem hoher Dichte noch so verhalten, wie wir es bei niedriger Dichte gewohnt sind. Das muss bei einer gitterartigen Raumzeit aber nicht so sein. Daher entwickelten Fachleute eine Art zweite Generation von Gerüsten: Modelle einer diskreten Raumzeit, die bestimmte Symmetrieeigenschaften erfüllen.
Hier hat sich gezeigt, dass nicht nur die Singularität verschwindet – sondern auch die Zeit selbst. Die Dichte am Urknall ist den Modellen zufolge so riesig, dass das Konzept der Zeit darin keinen Platz findet, selbst wenn die Dichte endlich bleibt. Das Universum bei hoher Dichte ist dann immer noch vierdimensional, besitzt aber vier Raumdimensionen und keine Zeitdimension mehr. In diesem Fall enthalten die Symmetrietransformationen nur räumliche Winkel, Geschwindigkeiten ändern sich nicht mehr.
Anders als in der allgemeinen Relativitätstheorie hätte das Universum also keine zeitliche Grenze, an der die mathematische Beschreibung abbricht. Trotzdem besitzt die Zeit einen Anfang. Sie entstand gewissermaßen, als die Dichte des Universums niedrig genug war, um eine Zeitdimension zu verwirklichen. Dieser Entstehungsprozess kann sich nicht in der Zeit abspielen; er lässt sich nur mathematisch verstehen. In diesem Punkt berühren sich der vierdimensionale Raum und die Raumzeit, wobei in einer Richtung der Raum kontinuierlich in Zeit übergeht.
Wenn es während des Urknalls keine Zeitdimension gibt, kann man nicht von einem Vorgängeruniversum sprechen, aus dem sich unser expandierendes Weltall entwickelte. Dennoch könnte es indirekte Hinweise auf eine Welt vor dem Urknall geben, beispielsweise durch Tunnelprozesse. Dieses quantenmechanische Phänomen erlaubt es Teilchen, in eigentlich unerreichbare Bereiche vorzudringen. Auf diese Art könnten Objekte aus dem Vorläufer des Universums in unser heutiges gelangt sein und Spuren hinterlassen haben.
Ein verlässlicher Vergleich von Beobachtungen mit theoretischen Vorhersagen setzt allerdings eines voraus: eine funktionierende Theorie. Damit landet man wieder beim Problem der Raumzeit-Symmetrien, auf das Quantengravitationtheorien unweigerlich stoßen. Inzwischen haben sich viele Modelle der Schleifenquantengravitation als ungenügend herausgestellt, weil sie wahrscheinlich nicht mit diesen Symmetrien vereinbar sind.
Welcher Ansatz letztlich zu einer funktionierenden Theorie der Quantengravitation führen wird, lässt sich noch nicht absehen. Der Gerüstbau wird also noch weitergehen – bis wir schließlich das Bauwerk errichtet haben, das die wahre Natur von Raum und Zeit enthüllt.
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