Lexikon der Neurowissenschaft: retinale Ganglienzellen
retinale Ganglienzellen, Ganglienzellen, retinale Gangliocyten, Abk. RGZ, E retinal ganglion cells, alle Nervenzellen des Wirbeltierauges, deren Axone das Auge über den Opticus verlassen; folglich fließen alle Signale vom Auge ins Gehirn über die Ganglienzellen der Netzhaut. Ihre Zellkörper sitzen überwiegend in der Ganglienzellschicht (Stratum ganglionare), vereinzelt werden sie jedoch auch in der inneren Körnerschicht (Stratum nucleare) zwischen den Perikaryen der Amakrinzellen gefunden (versetzte Ganglienzellen). Die Dendriten der retinalen Ganglienzellen reichen in die innere plexiforme Schicht (Stratum plexiforme internum; Stratum cerebrale) hinein und verzweigen sich dort, um vielfältige synaptische Kontakte mit Amakrinzellen und Bipolarzellen einzugehen. Die Ganglienzellaxone bilden die retinale Nervenfaserschicht (Stratum fibrarium) an der Innenfläche der Netzhaut, wo sie zunächst radial dem Punkt zustreben, an dem der Opticus durch die Netzhaut führt (blinder Fleck, Papilla nervi optici). – Morphologie: Man unterscheidet verschiedene Typen retinaler Ganglienzellen. Anatomisch erkennt man ihre Heterogenität an der unterschiedlichen Größe ihrer Zellkörper, vor allem aber an den charakteristischen Verzweigungsmustern ihrer Dendriten. In der intensiv erforschten Netzhaut der Katze unterscheidet man α-, β-, γ- und δ-Ganglienzellen ( siehe Abb. 1 ) sowie einige seltener gefundene Typen. Jeder Ort der Retina wird vermutlich von den Dendriten von 20 verschiedenen Ganglienzelltypen überdeckt (coverage factor 20). Die Haupttypen retinaler Ganglienzellen der Katze findet man in anderen Säugerspezies wieder, allerdings gibt es auch aufschlußreiche Unterschiede. Die großen, mit dicken, weit ausladenden Dendriten ausgestatteten α-Zellen (Alpha-Zellen) tragen zwar nur 1-4% zur gesamten Ganglienzellpopulation bei, finden sich jedoch in allen untersuchten Netzhäuten der Säugetiere wieder. Diese Zellen empfangen vorwiegend Signale von Amakrinzellen. Die viel kleineren, dafür aber auch sehr zahlreichen β-Zellen (Beta-Zellen; ca. 50% der Ganglienzellpopulation), die vor allem von Bipolarzellen innerviert werden, wurden auch in den Augen von Primaten gefunden (dort ca. 80%), fehlen jedoch bei Ratten und Kaninchen. Dies steht offenbar damit in Zusammenhang, daß Ratten und Kaninchen eine geringere Sehschärfe haben. Um Unterschiede in der Funktion der verschiedenen Ganglienzelltypen von Katzen und Primaten nicht vorschnell auszuschließen, setzt man ihrem Namen bei Primaten ein P voran und bezeichnet sie als Pα-, Pβ-, Pγ- und Pδ-Zellen. Die Pα-Zellen(Parasol-Ganglienzellen, M-Zellen) werden oft als Ausgangspunkt des magnozellulären Systems betrachtet, während die farbsensitiven Pβ-Zellen(Midget-Ganglienzellen, P-Zellen) an die Wurzel des parvozellulären Systems gestellt werden. Die Pγ-Zellen werden auch als K-Zellen bezeichnet. – Physiologie: Retinale Ganglienzellen haben typischerweise ein rundes rezeptives Feld mit antagonistischer Umgebung ( siehe Abb. 2 ), d.h., die Zellen reagieren mit der Generierung von Aktionspotentialen am besten auf das Erscheinen oder Verschwinden kleiner Lichtpunkte, aber auch auf Konturen, die durch ihr rezeptives Feld führen, gleichgültig in welcher Orientierung; auf diffuse Beleuchtung reagieren die meisten von ihnen nur schwach oder gar nicht. Man unterscheidet Zellen, die auf "Licht an" im Zentrum ihres rezeptiven Feldes mit einer Entladung reagieren (On-Zentrum/Off-Umfeld-Zelle), von Zellen, die dort auf "Licht aus" ansprechen (Off-Zentrum/On-Umfeld-Zelle); die Stimulation der Umgebung des rezeptiven Feldzentrums führt jeweils zu gegenteiligen Reaktionen der betreffenden Ganglienzelle. Die Dendriten von On- und Off-Zellen, die man bei vielen, aber nicht allen morphologischen Ganglienzelltypen unterscheiden kann, verzweigen sich auf unterschiedlicher Ebene innerhalb der inneren Körnerschicht. Die rezeptiven Felder anderer Ganglienzelltypen sind z.T. nicht konzentrisch-antagonistisch organisiert, einige von ihnen beantworten bevorzugt bewegte Reize mit einer hohen Rate von Aktionspotentialen. Für fast jeden Ganglienzelltyp sind die rezeptiven Felder im Bereich des zentralen Gesichtsfelds kleiner als im peripheren Gesichtsfeld; dies entspricht der stetigen Zunahme des Durchmessers des Dendritenbaums mit der Exzentrizität. – Projektionen: Die Axone retinaler Ganglienzellen projizieren zu verschiedenen Gebieten des Gehirns. In Fischen und Amphibien enden sie fast ausschließlich im Mesencephalon (Tectum opticum). Mit der evolutiven Vergrößerung des Prosencephalons und vor allem des Isocortex bildet ein zunehmender Anteil retinaler Ganglienzellen Synapsen im Diencephalon (Corpus geniculatum laterale), von wo aus die Sehbahn zum visuellen Cortex (Area 17) zieht. Im Gehirn erwachsener Säugetiere gibt es zahlreiche Terminationsgebiete der Ganglienzellaxone: Corpus geniculatum laterale, Pulvinar thalami, Colliculi superiores (Homolog zum Tectum opticum), verschiedene Kerne der Area praetectalis, mehrere kleine Kerne des accessorischen optischen Systems im Mittelhirn sowie einige Kerngebiete im Hypothalamus, hier vor allem der Nucleus suprachiasmaticus. Jeder Typ retinaler Ganglienzellen zeigt eine charakteristische Tendenz, nur einige dieser Gebiete zu innervieren. Die meisten retinalen Ganglienzellen setzen an ihren präsynaptischen Endigungen Glutamat als Neurotransmitter frei, es gibt jedoch auch andere Substanzen, die als Ganglienzelltransmitter diskutiert werden, z.B. Substanz P.
R.B.I.
retinale Ganglienzellen
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