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Selbstbild: Die mentalen Bremsen lösen

Viele Menschen stehen sich mit einem starren Selbstbild selbst im Weg. Die Lösung: ein dynamisches Mindset entwickeln. Das hilft dabei, Selbstblockaden zu lösen und die eigenen Potenziale voll zu entfalten.
Mentale Bremsen lösen

Virginie traut sich nicht zu, ein Team zu leiten: Sie ist überzeugt, nicht zur Managerin zu taugen, sie sieht sich nicht als Führungspersönlichkeit. Als sie die Gelegenheit bekommt, sich auf eine solche Position zu bewerben, versucht sie es gar nicht erst.

Es gibt viele Beispiele dafür, wie man sich mit Glaubenssätzen über sein Können, seine Persönlichkeit oder sein Potenzial selbst im Weg stehen kann: »Ich war schon immer schlecht in Mathe«, »Ich bin nicht kreativ genug«, »Ich bin zu alt dafür«. Noch schlimmer sind Pauschalurteile wie »Ich kann gar nichts«. Derart negative Selbstbilder entstehen oft schon nach einem einzigen Misserfolg und beruhen auf der Vorstellung, dass man bestimmte Fähigkeiten entweder besitzt oder eben nicht. Mit anderen Worten: Nur wer von Haus aus begabt ist, kann es schaffen.

Vom statischen Selbstbild zur Selbstblockade

Carol Dweck von der Stanford University hat die Voraussetzungen von Erfolg jahrzehntelang erforscht. Sie bezeichnet die Vorstellung, dass Intelligenz, Kreativität, aber auch körperliche Fitness und andere Eigenschaften angeboren und unveränderlich sind, als »fixed mindset«. Dweck zufolge glauben Menschen mit diesem Mindset, für Erfolg brauche es vor allem Glück oder Begabung. Das führe dazu, dass sie viel von ihrem persönlichen Potenzial ungenutzt lassen: Bei der kleinsten Schwierigkeit meinen sie, es fehle ihnen am »nötigen Talent«, und boykottieren sich auf diese Weise selbst.

Menschen mit einem statischen Selbstbild stehen zudem unter starkem Erfolgsdruck. Da sie ihr Selbstwertgefühl an ihren Fähigkeiten festmachen und ihre Fähigkeiten an ihren Leistungen, leiden sie oft unter Versagensängsten und innerer Anspannung.

Nicht nur für die Betroffenen selbst hat das Folgen, wie Carol Dweck 2014 berichtete. Sie hatte die Angestellten von sieben großen Unternehmen dazu befragt, welche Aussagen auf ihren Arbeitsplatz zutrafen, beispielsweise: »Wenn es um Erfolg geht, ist meine Firma offenbar der Ansicht, dass Menschen über ein spezielles Talent verfügen oder eben nicht und dass man daran nicht viel ändern kann« – eine Vorstellung, die für das »fixed mindset« typisch ist. Herrschte eine solche Denkweise vor, fühlten sich die Mitarbeiter ihrem Arbeitgeber weniger verpflichtet. Sie hatten auch eher den Eindruck, keine Risiken eingehen zu dürfen, und berichteten von mehr Schummeleien bei der Arbeit als Angestellte von Firmen, die ein flexibleres Mindset hatten.

Menschen mit einem solchen »dynamischen Mindset« glauben laut Carol Dweck fest daran, ihre Fähigkeiten mit Ausdauer und Beharrlichkeit verbessern zu können. So sind sie in der Lage, auf Herausforderungen oder Misserfolge ganz anders zu reagieren: Statt sich von einem Ergebnis, das hinter ihren Erwartungen zurückbleibt, lähmen und entmutigen zu lassen, betrachten sie es als kurzzeitigen Rückschlag und als Chance zur persönlichen Weiterentwicklung und setzen sich umso engagierter dafür ein.

Etwa 40 Prozent der Menschen besitzen ein eher statisches Selbstbild

Diese Einstellung lässt sich sogar im Gehirn beobachten, wie Jason Moser und seine Kollegen von der Michigan State University zeigten. Mit Hilfe von EEG-Messungen beobachtete das Team, dass bei Versuchspersonen mit dynamischem Selbstbild ein bestimmtes elektrisches Signal stärker ausgeprägt war – und zwar in der Hirnregion, die am Erkennen von Fehlern und der Verteilung von Aufmerksamkeitsressourcen beteiligt ist. Im Vergleich zu Personen mit einem statischen Selbstbild waren sie außerdem eher bereit, begangene Fehler anschließend zu korrigieren.

Dweck schätzt, dass etwa 40 Prozent der Menschen ein eher statisches Selbstbild haben. Eine klare Grenze zwischen den beiden Haltungen gibt es nicht. Ein Selbstbild ist nie vollkommen statisch oder dynamisch; je nach Kontext wechselt es auch mal vom einen zum anderen.

Dass sich der Wechsel zum dynamischen Mindset lohnt, demonstrierte 2019 ein Team um David Yeager von der University of Texas in Austin. Die Gruppe vermittelte mehr als 12 000 Jugendlichen an US-Highschools in einem Online-Seminar, dass intellektuelle Fähigkeiten nicht in Stein gemeißelt, sondern ausbaubar sind. Die Noten der schwächeren Schülerinnen und Schüler verbesserten sich daraufhin, und auch die Anmeldungen zu weiterführenden Mathematikkursen mit höherem Schwierigkeitsgrad nahmen zu. Die Schüler waren zudem eher bereit, neue Lernstrategien auszuprobieren und sich Unterstützung zu holen.

Dass schon eine einzige Mindset-Intervention helfen kann, zeigten auch Jessica Schleider und John Weisz von der Harvard University 2018. Sie informierten Teenager im Alter von 12 bis 15 Jahren über die Funktionsweise und Neuroplastizität des Gehirns, also seine Fähigkeit, ständig neue neuronale Verknüpfungen zu bilden. Außerdem lernten die Jugendlichen, dass Eigenschaften wie Schüchternheit, Ängstlichkeit oder Traurigkeit das Ergebnis von Gedanken und Gefühlen und damit veränderlich sind. Abschließend bekamen sie Beispiele dafür, wie sie das dynamische Selbstbild im Alltag anwenden können.

Bereits nach dieser einen Sitzung glaubten die Heranwachsenden eher, auf Gegebenheiten aktiv Einfluss nehmen zu können. So stimmten sie Aussagen wie »Ich kann Freunde finden, wenn ich es wirklich versuche« bereitwilliger zu. Zudem fühlten sie sich besser dafür gerüstet, mit negativen Erlebnissen umzugehen (»Wenn etwas Schlimmes passiert, kann ich eine Perspektive einnehmen, die mir hilft, damit umzugehen«).

Yeager und Dweck glauben beide, dass das Verhalten der Lehrkräfte großen Einfluss darauf, welche Grundhaltung Jugendliche an den Tag legen. Die Schülerinnen und Schüler ermutigen, sich Herausforderungen zu stellen, ein Klima des Vertrauens schaffen und betonen, dass es keine dummen Fragen gibt und Fehler zum Lernprozess dazugehören: All das sind bewährte Unterrichtsmethoden, und sie fördern die Entwicklung eines dynamischen Mindsets.

Die Anstrengung mehr wertschätzen als das Ergebnis

Solche Maßnahmen können kaum früh genug beginnen. Denn Kinder entwickeln schon in sehr jungen Jahren Überzeugungen wie »Das kann ich nicht«. Dabei spielen Eltern wie Pädagogen eine wichtige Rolle. Denkt ein Kind zum Beispiel, es sei nicht begabt, können sie zum Nachdenken anregen und helfen, den Glaubenssatz zu hinterfragen. Ebenso wichtig ist es, Kinder zu beruhigen: »Dass du noch nicht alles verinnerlicht hast, ist normal, denn das Thema ist ja ganz neu für dich. Manchmal dauert es eine Weile, bis man etwas versteht.«

Schon 1998 identifizierten Carol Dweck und ihre Kollegin Claudia Mueller eine weitere wirksame Stellschraube für das Mindset: Lob. In einem Experiment ließen die beiden Forscherinnen Kinder eine Aufgabe lösen. Einen Teil von ihnen lobten sie daraufhin für ihre Anstrengungen (»Du musstest hart arbeiten«), die anderen für ihre Eigenschaften (»Du bist klug«). Danach legten sie denselben Kindern einen schwierigeren Test vor, an denen die meisten scheiterten, und beobachteten die Reaktionen.

Diejenigen, die für ihre Klugheit gelobt worden waren, stellten nun ihre Kompetenz in Frage: Sie glaubten, den ersten Test nur dank ihrer Intelligenz geschafft zu haben. Das Scheitern im zweiten Test deuteten sie folgerichtig als Beleg für ihre Inkompetenz. Anders sah es bei den Kindern aus, die das Lob für ihre Anstrengungen bekommen hatten: Sie zeigten mehr Ausdauer, hatten mehr Spaß an den Übungen und erzielten bessere Ergebnisse. Sie stellten weder ihre Fähigkeiten noch ihr Potenzial in Frage, sondern verstanden ihre Punktzahl lediglich als Indikator für ihren aktuellen Lernstand.

Ausrufe wie »Du bist ja so begabt!« sollten Erwachsene sich lieber verkneifen

Zeigt ein Kind mit leuchtenden Augen ein selbst gemaltes Bild, sollten Erwachsene sich Ausrufe wie: »Du bist ja so begabt!« lieber verkneifen. Besser: »Diese Zeichnung hat dich sicher viel Zeit und Mühe gekostet!« oder nach der Vorgehensweise fragen: »Wie hast du das gemacht?«, »Welche Stifte hast du benutzt?«. So lenken sie das Augenmerk weg vom Ergebnis und hin zu dem Prozess und der Anstrengung dahinter. Das motiviert das Kind, sich weiter zu bemühen und dazuzulernen.

Wie sich Erwachsene vom statischen Denken lösen

Das Prinzip gilt natürlich auch für Erwachsene: Ein dynamisches Mindset kann man sich mit ein bisschen Ausdauer in jedem Alter aneignen. Wer sich blockiert fühlt, sollte seine Glaubenssätze hinterfragen. Jennifer Beer, Professorin für Psychologie an der University of Texas, untersuchte das am Beispiel von Schüchternheit. Menschen mit einem statischen Mindset verhalten sich bei sozialen Kontakten eher ängstlich und gehemmt. Sie meinen, »von Natur aus« schüchtern zu sein – Hoffnung auf Besserung haben sie entsprechend nicht.

Sie könnten sich aber auch vornehmen, eine Freundschaft zu einem Kollegen oder einer Kollegin aufzubauen oder das Verhältnis zu einem Verwandten zu vertiefen. Dabei sollten sie sich im Detail ausmalen, wie schön das für sie wäre – wenn sie ihre Ängste und Bedenken überwinden. Gelingt es einer schüchternen Person nach einer Weile immer besser, auf andere zuzugehen, werde sie das motivieren, das neue Verhalten auch weiterhin auszuprobieren und ihr Selbstbild zu verändern.

Fünf Schritte zum dynamischen Mindset

  1. Erlauben Sie sich, Fehler zu machen. Akzeptieren Sie Ihre Grenzen und Unzulänglichkeiten. Jeder Mensch hat Schwächen!
  2. Betrachten Sie Misserfolge als Chance, für die Zukunft zu lernen.
  3. Fragen Sie erfolgreiche Menschen nach ihrem Werdegang. Nur wenige werden ihre Erfolge auf angeborenes Talent zurückführen, sondern vielmehr auf Anstrengung, Ausdauer und Unterstützung durch andere.
  4. Suchen Sie sich kleine Herausforderungen, die sich gut bewältigen lassen, und steigern Sie den Schwierigkeitsgrad nach und nach.
  5. Bewerten Sie den Lernprozess – und nicht das Ergebnis.

Zu einem dynamischen Mindset gehört auch eine konstruktive Einstellung zu Misserfolgen. Anstatt sie als Beweis für die eigene Inkompetenz zu werten, begreift ein Mensch mit dynamischem Selbstbild sein Scheitern als Teil eines Lernprozesses. Laufen haben wir schließlich auch gelernt, obwohl wir unzählige Male hingefallen sind!

Einen konstruktiven inneren Dialog zu führen, kann dabei helfen. Statt jeden Fehltritt streng zu bewerten, sind ermutigende Worte und Akzeptanz für die (vorübergehenden) Grenzen angebracht. An die Stelle von »Ich schaffe es nicht« tritt dann »Ich schaffe es im Moment nicht«. Das klingt zwar nicht großartig anders, wirkt jedoch weniger demotivierend. Die Erkenntnis, dass es einige Runden Versuch und Irrtum braucht, um den Weg zum Ziel zu finden, ist der erste Schritt zum Erfolg. Wer es schafft, einen Rückschlag als Herausforderung und nicht als Niederlage zu bewerten, wird im Umgang mit Schwierigkeiten flexibler reagieren.

Natürlich ist ein dynamisches Mindset keine Garantie dafür, seine Ziele zu erreichen. Es gibt viel zu viele Faktoren, die im Einzelfall zum Erfolg oder Misserfolg beitragen. Ein dynamisches Selbstbild trägt jedoch dazu bei, den Herausforderungen des Lebens konstruktiv zu begegnen. Es eröffnet die Chance, die eigenen Potenziale zu entfalten und neue Fähigkeiten zu entwickeln – und die nächste Chance, beruflich oder privat, nicht ungenutzt vorbeiziehen zu lassen.

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