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Lexikon der Mathematik: Asymptotische Entwicklungen

Unter einer asymptotischen Entwicklung versteht man die asymptotisch korrekte Darstellung einer Funktion f(x) für x → ∞ (asymptotische Entwicklung einer Funktion) bzw. einer Folge {σn} für n → ∞. In letzterem Fall, auf den wir uns hier konzentrieren werden, spricht man manchmal auch in etwas älterem Sprachgebrauch von einer asymptotischen Fehlerentwicklung.

Um den Ausdruck „asymptotisch korrekte Darstellung“ zu präzisieren, geben wir folgende Definition:

Bilden die Vektoren \(V=\{{\upsilon }_{n}^{(\mu )}\}\) ein asymptotisches System, so besitzt die Folge {σn} eine asymptotische Entwicklung der Ordnung m ∈ ℕ, falls Koeffizienten cμ, μ = 0,…,т existieren, so daß sie für n → ∞ σn eine Darstellung der Form

\begin{eqnarray}{\sigma }_{n}=\displaystyle \sum _{\mu =0}^{m}{c}_{\mu }{v}_{n}^{(\mu )}+o({v}_{n}^{(m)})\end{eqnarray}

besitzt.

Üblicherweise betrachtet man solche asymptotischen Entwicklungen für Zahlenfolgen {σn}, die Definition ist jedoch auch für Folgen von Vektoren oder Matrizen gültig.

Im Falle der Zahlenfolgen ist (1) äquivalent zur Forderung, daß

\begin{eqnarray}\mathop{\mathrm{lim}}\limits_{n\to \infty }\{\frac{1}{{v}_{n}^{(k)}}\cdot ({\sigma }_{n}-\displaystyle \sum _{\mu =0}^{k-1}{c}_{\mu }{v}_{n}^{(\mu )})\}={c}_{k}\end{eqnarray}

für k = 0,…, т. Insbesondere gilt also

\begin{eqnarray}\mathop{\mathrm{lim}}\limits_{n\to \infty }{\sigma }_{n}={c}_{0}.\end{eqnarray}

Man kann somit sagen, daß die Existenz einer asymptotischen Entwicklung die Art der Konvergenz einer Folge gegen ihren Grenzwert präzisiert.

Sehr häufig liegt die Situation vor, daß die Elemente der Folge {σn} explizit berechenbar sind, wohingegen der Grenzwert c0, an dem man „eigentlich“ interessiert ist, nicht berechnet werden kann. In diesem Fall versetzt einen die Existenz einer asymptotischen Entwicklung in die Lage, durch Anwendung von Extrapolation die Konvergenz der vorgelegten Folge nachhaltig zu beschleunigen und somit den gewünschten Grenzwert auf sehr effiziente Weise beliebig genau zu approximieren.

Als Beispiel betrachte man, für beliebiges z ∈ ℂ, die Zahlenfolge

\begin{eqnarray}{\sigma }_{n}={\sigma }_{n}(z)={(1+\frac{z}{n})}^{n},\end{eqnarray}

deren Elemente offenbar sämtlich elementar berechenbar sind.

Man kann nun leicht zeigen, daß diese Folge die asymptotische Entwicklung

\begin{eqnarray}{\sigma }_{n}(z)=\exp (z)+\displaystyle \sum _{\mu =1}^{m}\frac{{c}_{\mu }}{{n}^{\mu }}+o({n}^{-m})\end{eqnarray}

mit beliebigem m ∈ ℕ besitzt und somit zur Berechnung der Exponentialfunktion benutzt werden kann.

In der Praxis treten fast immer zwei Typen von asymptotischen Entwicklungen auf, die manchmal als geometrische bzw. logarithmische Entwicklungen bezeichnet werden, und die wir im folgenden kurz darstellen wollen.

Geometrische asymptotische Entwicklungen.

Es seien λ0, λ1, λ2,… reelle oder komplexe Zahlen, mit der Eigenschaft

\begin{eqnarray}1={\lambda }_{0}\gt |{\lambda }_{1}|\gt |{\lambda }_{2}|\gt \cdots \gt 0.\end{eqnarray}

Man sagt dann, die Folge σn besitzt eine geometrische asymptotische Entwicklung, wenn jedes Element dieser Folge für n → ∞ eine Darstellung der Form

\begin{eqnarray}{\sigma }_{n}=\displaystyle \sum _{\mu =0}^{m}{c}_{\mu }{\lambda }_{\mu }^{n}+o({\lambda }_{m}^{n})\end{eqnarray}

besitzt. Offenbar ist diese Definition mit der unter (1) gegebenen konsistent.

Existiert in Verschärfung von (2) eine feste Zahl λ mit 1 > |λ| > 0 derart, daß λμ = λμ für alle μ gilt, so spricht man manchmal auch von einer speziellen geometrischen asymptotischen Entwicklung.

Asymptotische Entwicklungen dieser Art treten sehr häufig im Zusammenhang mit iterativ definierten Folgen der im weiteren geschilderten Art auf:

Es sei &Tgr; eine auf einem reellen Intervall I definierte und genügend oft differenzierbare Funktion, die dieses Intervall auf sich abbildet und noch eine Reihe technischer Voraussetzungen erfüllt, insbesondere sei

\begin{eqnarray}|{T}^{^{\prime} }(x)|\le \varrho \lt 1\end{eqnarray}

für alle xI. Den Fixpunkt der Funktion T in I bezeichnen wir mit ξ, also &Tgr;(ξ) = ξ.

Dann besitzt die für beliebiges σ0I durch die Vorschrift

\begin{eqnarray}{\sigma }_{n}:=T({\sigma }_{n-1}),\text{\hspace{1em}}n\in {\rm{{\mathbb{N}}}}\end{eqnarray}

definierte Folge {σn} eine spezielle geometrische asymptotische Entwicklung mit λ = T′(ξ), vorausgesetzt dieser Wert ist verschieden von Null.

Der Grenzwert der Entwicklung ist hierbei gerade der Fixpunkt ξ von T.

Logarithmische asymptotische Entwicklungen.

Es seien ϱ0, ϱ1, ϱ2,… reelle oder komplexe Zahlen mit der Eigenschaft ϱ0 = 0 und

\begin{eqnarray}\mathrm{Re}{\varrho }_{\mu }\lt \mathrm{Re}{\varrho }_{\mu +1}\text{\hspace{1em}}\text{für alle}\text{\hspace{1em}}\mu \in {{\rm{{\mathbb{N}}}}}_{0}.\end{eqnarray}

Man sagt dann, die Folge σn besitzt eine logarithmische asymptotische Entwicklung, wenn jedes Element dieser Folge für n → ∞ eine Darstellung der Form

\begin{eqnarray}{\sigma }_{n}=\displaystyle \sum _{\mu =0}^{m}\frac{{c}_{\mu }}{{n}^{\varrho \mu }}+o({n}^{-\varrho m})\end{eqnarray}

besitzt. Offenbar ist diese Definition mit der unter (1) gegebenen konsistent. Auch hier existiert wiederum ein sehr verbreiteter und leicht zu handhabender Spezialfall, nämlich der, daß die Exponenten ϱμ gerade gleich μ sind; dann nimmt (5) die Form

\begin{eqnarray}{\sigma }_{n}=\displaystyle \sum _{\mu =0}^{m}\frac{{c}_{\mu }}{{n}^{\mu }}+o({n}^{-m})\end{eqnarray}

an.

Logarithmische asymptotische Entwicklungen treten in unzähligen Bereichen der Mathematik auf, sehr häufig im Zusammenhang mit numerischen Verfahren zur Integration von Funktionen ( Romberg-Verfahren) oder zur Lösung von Differentialgleichungen. Wir geben hier nun in loser Folge einige Beispiele für ein solches-oftmals unerwartetes-Auftreten an.

1. Man betrachte den Archimedes-Algorithmus zur Berechnung von π. Die dort gewonnenen Größen un und Un, die in der Form

\begin{eqnarray}{U}_{n}=2n\tan \frac{\pi }{n}\hspace{1em}\text{bzw}.\text{\hspace{1em}}{u}_{n}=2n\sin \frac{\pi }{n}\end{eqnarray}

darstellbar sind, besitzen beide eine logarithmische asymptotische Entwicklung mit Grenzwert π, was man unmittelbar durch Ausnutzung der Reihenentwicklungen der beteiligten Funktionen sieht.

Bereits Archimedes hat also – natürlich ohne sich dessen bewußt zu sein – mit asymptotischen Entwicklungen gearbeitet.

2. Gegeben sei eine im Punkt z ∈ ℂ differenzierbare Funktion ƒ; man definiere nun für n ∈ ℕ die Zahlen

\begin{eqnarray}{\sigma }_{n}(z)=n\cdot (f(z+1/n)-f(z)).\end{eqnarray}

Sofort ist klar, daß die Folge (σn(z)} für n → ∞ gegen die Ableitung von f im Punkte z konvergiert.

Eine genauere Betrachtung liefert die Verschärfung dieser Aussage: Die Folge (σn(z)} besitzt die asymptotische Entwicklung

\begin{eqnarray}{\sigma }_{n}(z)={f}^{^{\prime} }(z)+\displaystyle \sum _{\mu =1}^{m}\frac{{c}_{\mu }(z)}{{n}^{\mu }}+o({n}^{-m}),\end{eqnarray}

wobei die Ordnung m von der Glattheit von f abhängt.

3. Die Verwendung der Euler-Maclaurinschen Summenformel führt auf eine der bekanntesten asymptotischen Entwicklungen, nämlich die der Trapezregel zur Integration von Funktionen.

Es sei r ∈ ℕ0 und f eine über dem Intervall [a, b] (2r + 1)-mal stetig differenzierbare Funktion. Mit Tn(f) bezeichnen wir hier den durch die Trapezregel mit n Teilintervallen ermittelten Näherungswert an das Integral

\begin{eqnarray}{I}_{a}^{b}(f):=\displaystyle \underset{a}{\overset{b}{\int }}f(x)dx.\end{eqnarray}

Dann existiert eine asymptotische Entwicklung für die Folge Tn(f) der folgenden Art:

\begin{eqnarray}{T}_{n}(f)={I}_{a}^{b}(f)+\displaystyle \sum _{\mu =1}^{r}\frac{{c}_{\mu }(f)}{{n}^{2\mu }}+o({n}^{-(2r+1)}).\end{eqnarray}

Diese Aussage bildet die theoretische Grundlage bzw. Rechtfertigung für die Anwendbarbeit von Extrapolation auf die Trapezregel, bekannt unter dem Namen Romberg-Verfahren.

4. Schließlich geben wir noch ein Beispiel an, das in letzter Konsequenz zu einer effizienten Methode zur numerischen Berechnung der Riemannschen ζ-Funktion führt:

Es sei s eine komplexe Zahl, deren Realteil größer als Eins ist; dann ist

\begin{eqnarray}\varsigma (s)=\displaystyle \sum _{v=1}^{\infty }\frac{1}{{v}^{s}}\end{eqnarray}

wohldefiniert und als Riemannsche ζ-Funktion bekannt.

Wir betrachten nun, für n ∈ ℕ, die n-ten Partial-summen dieser Reihe, also die Zahlen

\begin{eqnarray}{\varsigma }_{n}(s)=\displaystyle \sum _{v=1}^{n}\frac{1}{{v}^{s}}.\end{eqnarray}

Offensichtlich konvergiert die Folge dieser Zahlen für n → ∞ gegen ζ (s).

Man kann jedoch mit etwas Aufwand ebenfalls aus der Euler-Maclaurinschen Summenformel die folgende Verschärfung gewinnen:

Die Folge {ζn(s)} besitzt die asymptotische Entwicklung

\begin{eqnarray}{\varsigma }_{n}(s)=\varsigma (s)-\frac{{(s-1)}^{-1}}{{n}^{s-1}}+\frac{{2}^{-1}}{{n}^{s}}+\displaystyle \sum _{\mu =1}\frac{{c}_{2\mu }(s)}{{n}^{2+2\mu -1}}\end{eqnarray}

mit explizit angebbaren Koeffizienten c2μ(s). Das Weglassen der oberen Summationsgrenze bedeutet hierbei, daß die Ordnung dieser Entwicklung beliebig groß ist.

Zahlreiche weitere Beispiele, eine ausführliche Theorie und Anwendungen von asymptotischen Entwicklungen findet man in der unten angegebenen Literatur.

Literatur

[1] Knopp, K.: Theorie und Anwendung der unendlichen Reihen. Springer-Verlag Berlin, 1964.

[2] Walz, G.: Asymptotics and Extrapolation. Akademie-Verlag Berlin, 1996.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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